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hasirasi2

Posted on 9.5.2025

One-Hit-Wonder? „Martin, ich will dir nicht zu nahe treten, aber dein letzter großer Hit ist sechsundzwanzig Jahre alt.“ (S. 11) Martin ist 49, Bassist und versucht seit Jahren erfolglos, an seinen einzigen Hit von 1999 anzuknüpfen. Sein Agent lässt sich schon lange am Telefon verleugnen, und wenn ihm seine Schwester Nicole nicht immer wieder Geld leihen würde, müsste er in seinem uralten Volvo wohnen. Seine ganze Hoffnung ruht auf einem Rock Festival im Portugal, wo er für einen ausgefallenen Bassisten einspringen soll. Eine Gage gibt es nicht und auch die Anreise muss er selber finanzieren, aber er darf seinen alten Hit und zwei neue Songs spielen. Ausgerechnet da hat Nicole einen Burnout, wird in eine Reha-Klinik eingewiesen und Martin soll auf seinen zwölfjährigen Neffen Karl aufpassen, den er für einen Nerd, Besserwisser, Klugscheißer und uncool hält. „Halb Physiker, halb Kind… Mit Zahlen und Statistiken konnte Karl souverän jonglieren, aber seine Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, war immer noch komplett unterentwickelt. (S. 20) Wenigstens sind gerade Sommerferien, aber der Plan, Karl heimlich bei seiner Oma zu lassen, wird von diesem boykottiert. Stattdessen machen sie zu zweit einen Roadtrip quer durch Europa, ernähren sich überwiegend von Fast-Food und versuchen, die Nächte bei Martins Verflossenen zu verbringen, um das Geld für die Übernachtungen zu sparen. Immer dabei sind das schlechte Gewissen und die Angst, dass Nicole ihnen auf die Schliche kommt und sie abbrechen müssen. Martin ist nicht besonders reflektiert und hält sich für ein Gottesgeschenk an die Frauenwelt. Um so mehr erstaunt es ihn, dass nicht alle Ex-Freundinnen begeistert sind, wenn er mit Karl auf der Durchreise bei ihnen schlafen will. Im Gegensatz zu ihm haben sie sich weiterentwickelt. Er lebt zwar immer noch für die Musik, kann aber nicht von ihr leben. Zumindest nicht bis zum nächsten großen Hit, wie er nicht müde wird, zu betonen. Um Karl kümmert er sich zwar seit dessen Geburt gezwungenermaßen regelmäßig, ist allerdings nie so richtig mit ihm warm geworden. Karl scheint Wikipedia auswendig zu können, hasst Obst und Gemüse in jeglicher Form, nimmt überall seinen Plüsch-Orca mit hin (was Martin extrem peinlich ist) und verwandelt sich langsam in ein Pubertier. Außerdem manipuliert und erpresst er Martin, um zu bekommen, was er will – schließlich darf Nicole nicht mitbekommen, dass sie gar nicht zu Hause sind. Und er kann sich wie ein Kleinkind gebärden, wenn er das dritte Pain au chocolat oder Pasteis de Nata will. Abgesehen von ihren kleinen Problemchen miteinander, ist derr Roadtrip ein echtes Abenteuer, das sie zusammenwachsen lässt. Das alte Auto macht Probleme, sie werden zu Flüchtlingshelfern, treffen Sting, treten gemeinsam als Straßenmusiker auf und Karl klaut und verliebt sich zum ersten Mal. Martin wird klar, dass Karl ein viel besserer Mensch ist als er, mitfühlender und unvoreingenommener. „Diese Reise hatte nicht nur Martin und Karl verändert. Sie veränderte alles.“ (S. 330) Stefan Kuhlman schreibt unglaublich mitreißend, unterhaltsam und berührend. Ich habe „Umwege zum Sommer“ an nur 2 Abenden förmlich verschlungen und mag, wie er seine Protagonisten auf die Schippe nimmt (vor allem Martin) und sie beide (!) erwachsen werden lässt.

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