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Engagierte Juristin mit einem Dilemma Mit "Dunkle Momente" hat die Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven weniger einen Justizroman als einen Reihe von Fallgeschichten geschrieben, eingebettet in eine Rahmenhandlung um die engagierte Strafverteidigerin Eva Herbergen. Sie trifft gleich auf den ersten Seiten des Buches eine Entscheidung über ihre berufliche Zukunft. Die in den folgenden Kapiteln vorgestellten Fälle sind sowohl Erläuterung, wie es zu dieser Entscheidung kam als auch (Selbst-)-Rechtfertigung der Erzählerin für Entscheidungen, die nicht allesamt mit Recht und Gesetz zu tun hatten, sondern eben auch mit Gerechtigkeitsempfinden und moralischem Kompass. Und es geht um die Frage, wie weit eine Verteidigerin gehen kann im Interesse ihres Mandanten oder ihrer Mandantin. Richterinnen und Richter müssen "unabhängig und nur dem Gesetz" verpflichtet sein - Strafverteidiger sind Partei, müssen das Bestmögliche für Angeklagte erreichen - egal, ob diese schuldig oder unschuldig, sympathisch oder nicht sind. In einem Strafprozess hat jeder Angeklagte das Recht auf Unschuldsvermutung und fairen Prozess - egal wie abscheulich die ihnen vorgeworfenen Taten sind. Und oft werden Verteidiger, gerade in Strafsachen mit hohem Gesprächs- und Aufmerksamkeitswert, von einigen angegriffen und angefeindet, weil sie einen bestimmten Angeklagten verteidigen. Ich-Erzählerin Herbergen ist Strafverteidigerin aus Überzeugung und Leidenschaft, die auch Grenzen des Statthaften überschreitet. Das moralische Dilemma, das ihre Entscheidungen hervorruft, lässt sie irgendwann nicht mehr ruhen. Die "Dunklen Momente" sind auch die Bilanz eines Juristenlebens, das alles andere als Dienst nach Vorschrift bedeutete. Auch eine erfahrene Anwältin kann getäuscht werden oder beim Abwägen von Recht und Gerechtigkeit - beides ist bekanntlich nicht immer identisch - schwierige Entscheidungen treffen. Einige der vorgestellten Fälle mögen bekannt klingen und orientieren sich an tatsächlichen Strafprozessen, die ähnliches behandelt haben. Als Justiz-Profi hat Hoven sicherlich einen engen Einblick in die Denk- und Argumentationsmuster von Juristen, in das, was noch möglich ist und das, was eine Grenzüberschreitung ist. Liebhaber*innen von Justizthrillern mögen diesem Buch die eher nüchterne Sprache, eher reflektierend als emotional , ankreiden. Aber ein Verfahren nach der deutschen Strafprozessordnung hat nun mal eine völlig andere Dramaturgie und Sprache als in einem Hollywood-Justizkrimi. Gerade weil die Autorin "vom Fach" ist, ist die eher nüchterne Sprache - Juristendeutsch eben! - überzeugend und glaubwürdig. Bei diesem Buch fiebert man als Leser*in vielleicht nicht unbedingt mit, gewinnt aber ein besseres Verständnis für die Herausforderungen und Abgründe, vor denen sich die Eva Herbergens des wahren Lebens befinden.