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hasirasi2

Posted on 29.1.2025

12 Namen … hatte die Astoria im Laufe ihres Lebens, „… das älteste noch fahrende Passagierschiff der Welt. …, aber für Simone und Henri würde sie immer die Völkerfreundschaft bleiben, das erste Kreuzschiff der Deutschen Demokratischen Republik. Vor über vierzig Jahren hatten sie sich darauf kennen gelernt. Es war ihr Schiff. Und es hat ihr Schicksal bestimmt.“ (S. 9). Jahrelang hat Henri gespart, um noch einmal mitfahren zu können, jetzt ermöglicht ihnen das der Tod seines Vaters Erwin und das damit verbundene Erbe. Erwin und dessen Mutter Dora hatten Henri auch den Wunsch, zur See zu fahren, in die Wiege gelegt. Im Gegensatz zu ihnen hatte er es geschafft und die Welt hinter dem Eisernen Vorhang bereist. Doch dann ist etwas passiert, und er durfte nicht mehr zur See fahren. Simone hofft, dass er sich jetzt endlich mit der Vergangenheit aussöhnt. Auf der Fahrt lernen sie die Schwedin Frida kennen, die 1946 bei der Schiffstaufe dabei war und jetzt zum 20. Mal mitfährt. Auch sie hat eine sehr emotionale Verbindung zur Astoria. Und dann stößt Elli zu ihnen. Sie ist erst 19, interessiert sich aber sehr für die Geschichten, die Simone, Frida und vor allem Henri von früher erzählen. Ich hätte nicht gedacht, dass mich „Fernwehland“ von Anfang an so mitnimmt und so viele Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend in der DDR und das Dresden von früher weckt. Ich wohne nur wenige Kilometer von Kötzschenbroda entfernt, wo ein großer Teil der Handlung spielt, und bin schon mit der Diesbar gefahren, auf der Dora viele Jahre gearbeitet hat. Nur von der Völkerfreundschaft hatte ich bisher noch nicht gehört, dabei war sie berühmt und berüchtigt, weil es fast unmöglich war, einen Urlaubsplatz auf ihr zu bekommen. Katie Naumann erzählt auch die Geschichte der Seehandelsflotte und Überseefahrt der DDR, die sich die Bevölkerung damals mit Planübererfüllungen und unzähligen unbezahlten Überstunden erkämpft und verdient hat. „Manchmal müssen alte Wunden aufgerissen werden, damit sie endlich heilen können.“ (S. 378) Neben den Erinnerungen haben mich auch die Biographien ihrer Protagonisten gefesselt und mitfiebern lassen. Frida erlebt auf ihrer Hochzeitsreise etwas, was sie für den Rest ihres Lebens an dieses Schiff bindet. Sie reist nie woanders hin oder mit einem anderen Schiff, es muss das Astoria sein. Dora, mit der alles beginnt, hat ihre Wünsche und Träume nie verwirklichen können, darum gibt sie diese an Henri weiter. Der tut alles, um Matrose zu werden und weiß auch, wie privilegiert er ist. Er bringt seiner Familie, vor allem seiner Schwester Karin, von jeder Fahrt Geschenke mit. Aber das reicht dieser irgendwann nicht mehr. „Manchmal habe ich das Gefühl, blind zu sein. Und du bist mein Blindenführer, der mir von der Welt erzählt, die ich niemals sehen werde.“ (S. 338) Simone musste sich um ihre jüngeren Brüder und den Haushalt kümmern, wenn ihre Eltern arbeiten waren. Auch sie träumt seit der Kindheit davon, zur See zu fahren, und erkämpft sich das gegen den Willen ihrer Eltern. Und Elli? Die gibt sich nicht ohne Grund sehr geheimnisvoll … Ich war fasziniert, als Henri, Simone und Frida rückblickend entdecken, dass sie mehrfach zur selben Zeit am gleichen Ort waren (nicht nur auf dem Schiff). Das schafft eine besondere Verbindung, einen Gleichklang zwischen ihnen. Sie wachsen zu einer Einheit zusammen, und Frida und Henri beschäftigen sich endlich auch mit ihren Traumata. Geschickt bindet Katie Naumann dramatische Ereignisse ein, welche die Völkerfreundschaft bei den Fahrten erlebt hat. Sie geriet in gefährliche Stürme, fuhr durch die Blockade während Kuba-Krise und wurde von anderen Schiffen gerammt – im Gegensatz zur Titanic ist zum Glück wirklich unsinkbar. „Fernwehland“ ist ein sehr mitreißender und bewegender Roman über Familie, Freundschaft, Sehnsucht und Freiheit, der ein spannendes Kapitel DDR-Geschichte wieder lebendig werden lässt. Ein echtes #lesehighlight

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