evaczyk
Sinnkrise und Identitätssuche Einst arbeitete sie an einer New Yorker Galerie, jetzt ist sie vor allem Mutter einer kleinen Tochter in Berlin, während Ehemann Sergej als Konzertpianist ständig unterwegs ist. Da wären wohl viele Frauen wie Lou ein wenig in der Sinn- und Daseinskrise. Vor allem, da die eigene Mutter ständig eine Ehekrise wittert und die Schwiegermutter - zugleich Sergejs Managerin - von Anfang an vermittelt hat, dass Lou nicht gut genug für ihren Sohn ist. Und sozusagen on top die Frage nach Selbstdefinierung und Identität - deutsch, postsowjetisch, jüdisch? Die subtilen Vorwürfe der israelischen Verwandtschaft, dass sie ausgerechnet in Deutschland leben. Die Frage, wie man auch nichtreligiös jüdisch sein kann und was eigentlich der fünfjährigen Rosa vermitteln, benannt nach ihrer Urgroßmutter, einer Holocaustüberlebenden. In "Juli, August, September" beschreibt Olga Grjasnowa die Sinnsuche ihrer Ich-Erzählerin, mal mit spitzer Ironie, mal verunsichert und verwirrt. Ein Familientreffen auf den Kanaren könnte vielleicht Klarheit bringen, wirft aber eher noch mehr Fragen auf: Lous greise Großtante, Schwester eben jener namensgebenden Rosa, wird 90. Vielleicht die letzte Gelegenheit, Fragen nach der Vergangenheit zu stellen, letzte Gelegenheit, den Familienclan zu sehen. Das eher heruntergekommene Hotel trägt wenig zur Entspannung bei, zudem ist Lou irritiert, dass ihre Großmutter aus den Erinnerungen der Großtante gewissermaßen herausredigiert, in ihrer Bedeutung für die harte Flucht aus dem deutsch besetzten Belarus im Zweiten Weltkrieg gemindert wird. Gibt es in der Familie zwei Narrative, eine, die Lou und ihre Mutter kannten, eine andere der Cousins und Cousinen? Wo liegt die Wahrheit, die dann wiederum für die Identität wichtig ist? Lou fliegt kurzentschlossen nach Tel Aviv, um letzte Fragen zu stellen, statt nach Berlin zurückzukehren. Im Hintergrund schwebt die Frage - hat ihre Ehe eigentlich noch Bestand? Das Buch hat nach seinem bissigen Beginn nicht alle Versprechungen halten können, Lou scheint zusehend in Selbstmitleid zu verfallen und den Boden zu verlieren, häufig frage ich mich, ob sie eigentlich selbst weiß, was sie will - und das dann weniger wegen der angeteaserten Fragen von Identität und Zugehörigkeit, sondern eher als nicht wirklich ausgefülltes Wohlstandsweibchen. Dieser Roman hat ganz klar seine Momente, konnte mich aber nicht durchgehend begeistern.