awogfli
Die Autorin liefert mit dieser Novelle ein sehr gutes Stimmungsbild zum Bau des Gotthardtunnels. Sie beschreibt die Enge der Röhre, diesen eigenen Menschenschlag an Arbeitern, die fern von ihrer Heimat und ihren Familien in der Abgeschiedenheit der Bergwelt arbeiten und sich mit den Einheimischen der Bergtäler verbinden. Zusätzlich natürlich auch noch die Prostituierten, die sich ansiedeln, um die mehrheitlich männliche Belegschaft mit ihren Bedürfnissen zu befriedigen. Insofern – also als Milieustudie – ist Gotthard wirklich sehr gut gelungen. Es hat mir auch persönlich eine Welt erschlossen, von der ich nie etwas gehört habe, da mein Onkel Franz als Sprengmeister beim Bau des Arlbergtunnels gestorben ist und uns nie etwas von seinen eigenen Erfahrungen erzählen konnte. Einen ersten Schwachpunkt für mich stellt aber das Format des Werkes dar. Dadurch, dass die Form der Novelle gewählt wurde, sind die Figuren psychologisch nicht ganz so tief entwickelt, wie ich sie gerne gehabt hätte, oft konnte ich nicht ganz nachvollziehen, warum sich die Protagonisten so und nicht anders verhalten, da fehlte mir einfach einiges an Hintergrundwissen. Deshalb muss ich resümieren, was ich persönlich ohnehin sehr selten tue, dass mir das Stück Literatur einfach viel zu kurz war. Etwas mehr Detail in der Psyche der Protagonisten wäre hilfreich gewesen. Mein weiterer Kritikpunkt liegt im Aufbau des Plots. Sind schon die Figuren nicht ganz so tiefenpsychologisch intensiv dargestellt, wird auch noch durch Zeitsprünge, Auslassungen und vielen stroboskopartigen, durcheinandergewirbelten Erzählsträngen Verwirrung im Handlungsablauf gestiftet. Tja wieder mal eine auf derzeit so literarisch modernes Vexierspiel gebürstete Story, die durch diesen Stiltrick auf interessanter und intellektueller geschmückt werden soll. So etwas funktioniert bei mir gar nicht, da bin ich zu sehr literarische Realistin und Puristin. Was aber schon spannend ist, war die dargestellte Gesellschaft. Die Huren, die einsamen Männer, die mittlerweile verwelkte Kantinenwirtin mit ihrem Mann, die eigentlich schon lange getrennt sind, aber noch immer verheiratet. Ihre Tochter, von der man eigentlich denkt, dass sie lesbisch ist, die sich aber dann doch irgendwie für unseren Protagonisten Fritz Bergundthal interessiert. Die Landschaft, die Röhre, die Hitze, die Klaustrophobie und andere Probleme bei der Arbeit, das schwere Gerät, das sich täglich in den harten Stein frisst, … das waren Aspekte, die mir wirklich gut gefallen haben. Fazit: Was in der Endabrechnung bleibt, war eben für mich nur mittelmäßig. In dem Fall hätte ich sehr gerne mehr über die Figuren gewusst und das Durcheinander im Plot wäre auch nicht notwendig gewesen. Eine Leseempfehlung gebe ich nur bedingt ab.