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evaczyk

Posted on 30.7.2024

Fluchtinstinkt und Weltschmerz Als Stadtneurotiker ist Ben Oppenheim, der Protagonist in Micha Lewinskys Roman "Sobald wir angekommen sind" ein naher Verwandter der Figuren aus Woody Allan-Filmen - voller Unsicherheiten, Selbstmitleid, erotischen Verwirrungen und innerer Nabelschau. Allerdings nicht im hektischen New York, sondern im vergleichsweise beschaulichem Zürich. Doch was heißt schon beschaulich? Von Noch-Ehefrau Marina lebt Drehbuchuchautor Ben getrennt, bei seiner neuen Freundin Julia ist der kleine Sohn offen feindselig eingestellt, und in Europa herrscht Krieg. Zwar sind weder Ben noch Marina religiös, Sohn Moritz ist noch nicht mal beschnitten und eine Synagoge haben die Kinder auch noch nicht von innen gesehen - aber das Thema Jüdischkeit und Identitä, Zugehörigkeit und die stets unterschwellige Angst, Opfer von Gewalt zu werden, zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch, allerdings auf durchaus selbstironische Weise. Denn all die Streitereien um die finanzielle Regelung der bevorstehenden Scheidung sind plötzlich vergessen, als Marina in den frühen Morgenstunden samt Kindern im Taxi vor Bens Atelier auftaucht, mit Flugtickets nach Recife. Mit einer neuen russisch-ukrainischen Eskalation könnte ein Atomschlag folgen, also nichts wie weg! Damit sieht sich Ben plötzlich in einer Tradition: "Wenn in Regensburg die Schwaben an die Tür klopften, in Odessa die Kosaken oder in Warschau die Nazis, dann stellte sich immer dieselbe Frage: Fliehen oder Kämpfen? Einige Juden mochten sich in der Vergangenheit entschieden haben, zu bleiben und sich zur Wehr zu setzen. In der genetischen Auslese hatten diejenigen, die rasch flohen, meist die besseren Karten gehabt. Und so war Ben eben nicht einfach nur ein singulärer Feigling, der die Beine unter den Arm nahm, sobald er Gefahr witterte. Er war Kind, Enkel und Urenkel von erfolgreich Geflüchteten." Brasilien als Fluchtort, das ist zwar einerseits der erste verfügbare Flug gewesen. Für Ben, der sich seit Jahren mit dem Autor Stefan Zweig beschäftigt, aber auch eine Möglichkeit, sich dem literarischen Vorbild anzunähern. Nur dass das selbstgewählte Exil ein instagramtauglicher Touristenort ist, gefällt Ben weniger. Seine emotionale Verwirrung hält auch in Brasilien an - soll er einen neuen Versuch mit Marina wagen? Was hält er von Julias Idee, ebenfalls nach Brasilien zu kommen? Und wie kann er das Leben in der vielleicht neuen Heimat überhaupt finanzieren? Zwischen Selbstmitleid, Weltschmerz und Liebessehnsucht befindet sich Ben auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Dass Autor Lewinsky Drehbuchautor ist, merkt man dem bildhaft geschriebenen Roman durchaus an. Zwischen Hoffen und Scheitern ist dieser tragikomische Roman bei allem ernsten Hintergrund ausgesprochen unterhaltsam.

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