awogfli
Ich mag den Autor schon länger, gerade wegen seiner kurzen, knackigen pointierten Geschichten wie Der Revolver. Dieses Mal hat sich Nakamura an einem Epos probiert, es teilweise unterstützt mit Geschwätzigkeit umgesetzt, die ich nicht so gerne mag und das lässt mich ein ganz kleines bisschen ambivalent zurück. Der Einstieg in die Story ist furios, ganz Nakamura-mäßig, ich mag es, wenn mich AutorInnen einfach mitten in die Geschichte werfen. Das Werk hat in den ersten Kapiteln sehr viel von einem französischen Noir-Krimi: mysteriöse Figuren, Verfolgungsjagd, Flucht durch mehrere Länder, eine magische Teufelstrompete aus dem Zweiten Weltkrieg, auf die es mehrere, rivalisierende gewalttätige Banden abgesehen haben und ein linker Journalist manens Kenji Yamamine im Besitz der Trompete, der in Köln und anderen europäischen Städten ständig von unterschiedlichen Leuten verfolgt und bedroht wird. Nach dem rasanten Einstieg wird in Rückblenden erzählt, wie unser Protagonist in diese mysteriöse Situation gekommen ist. Hier macht die enorme Geschwindigkeit des Plots nach etwas mehr als hundert Seiten fast eine Vollbremsung und die Leserschaft dümpelt in einer 30km/h Beschränkung im stop and go Tempo in einer Baustelle herum. Obwohl die Geschichte schlüssig und gut ist, wurde beim Beiwerk episch breit übertrieben, ausufernde Artikel, mäandernde politische gesellschaftliche Analysen, historische Dokumente, zitierte sehr lange Briefe, Buchrezensionen…. Nicht dass mich solche Hintergrundinformationen prinzipiell stören würden, aber sie sollten mit Augenmaß eingesetzt werden, die Story im Vordergrund vor allem unterstützen und nicht komplett überwältigen. Das war für mich zu viel, fast schien es so, als ob der Autor den Fokus für seinen Plot im Vordergrund völlig verloren hätte. Das märzt sich zwar irgendwann nach ungefähr vierhundert Seiten recht ordentlich aus und die Schnipsel im Hintergrund ergeben auch ein ansprechendes Puzzle als Gesamtbild, der Roman ist aber trotzdem recht episch breit, wie ich es bisher nur als Modetrend in der amerikanischen, beziehungsweise englischen Literatur kenne und eigentlich überhaupt nicht liebe. Als spezieller Bonus werden sehr viele interessante Informationen vom zweiten Weltkrieg aus der Sicht der Japaner und der asiatischen Staaten präsentiert, die es zumindest bei mir nie in meine europäischen Geschichtsbücher geschafft haben, weil der Krieg bei uns ja immer deutschland- und alliierten-zentriert betrachtet wird. Das war schon sehr spannend, wie Nakamura die Gräuel der Christenverfolgungen und Kriegsverbrechen seiner Landsleute sehr unverblümt anspricht und akribisch aufarbeitet, Schritt für Schritt und so, dass es wirklich weh tut. Ich kannte solche Sichtweisen und Informationen aus erster Hand von Vietnamesen, Kambodschanern, Malaien und Thais, weil ich diese Länder schon bereist habe. Erstmals war ich ja mit dem Thema konfrontiert, als ich auf meinem allerersten asiatischen Flughafen landete – Changi in Singapur – das berüchtigte japanische Kriegsgefangenenlager im Zweiten Weltkrieg. Wie sehr die Japaner im Rest von Asien teilweise wegen ihrer Kriegsverbrechen zu dieser Zeit noch immer verachtet werden, habe ich auf meinen Reisen auch mit Erstaunen festgestellt. Im letzten Drittel der Story fällt Nakamura sein ursprünglicher Erzählstrang in der Gegenwart mit dem Schicksal unseres Protagonisten und der historischen Trompete wieder ein, und dass er sich um diesen Plot dann auch noch kümmern müsste. Das hat mich dann wieder sehr versöhnt. Sprachlich, politisch, historisch, und philosophisch beweist der Autor sehr oft sein Talent zur brillanten Analyse: "Eine Revolution sollte für das Volk geschehen. Aber wir haben die Bücher mehr geliebt als die Menschen. Die Menschen haben wir verachtet. Und sobald man das tut, wird eine Revolution selbstgerecht. Vielleicht wollen wir unserer Existenz einen Sinn geben, indem wir auf andere herabschauen. Wahrscheinlich haben Menschen wie meine Freundin aus Nagasaki mit Sehnsucht, Schuldgefühlen und Verachtung dabei zugesehen, wie wir uns mit unseren hehren Idealen immer mehr von der Gesellschaft entfernten." " Am Ende eines seitenlangen Verrisses meines Buches schrieb ein Leser ganz beiläufig: „Ich hätte das alles gar nicht wissen wollen.“ Das ist ein Satz, der für die meisten Autoren von Journalismus schwerwiegende Folgen hat. Journalismus beschäftigt sich damit, das Weltgeschehen, und zwar besonders das, das im Verborgenen liegt, aufzudecken und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Es nicht wissen zu wollen, bedeutet das Ende des Journalismus." Fazit: Lesenswert, wer es episch breit mag, wird begeistert sein, der Rest braucht ein bisschen Durchhaltevermögen, aber nicht viel Leidensfähigkeit, denn gut geschrieben ist dieser Roman allemal.