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awogfli

Posted on 17.3.2024

Ich lege Euch wieder einmal etwas relativ Unbekanntes, abseits der klassischen Romane aus dem Hause Diogenes ans Herz. Nämlich zwei Essays über Kunst und Politik in einem Band: Der eine ist schon etwas angegraut und stammt von George Orwell, der andere bezieht sich auf den ersten Essay und kommt aus der Feder des zeitgenössischen Schriftstellers Ian McEwan. Zugegeben, durch das orwellsche Literaturverständnis musste ich mich doch zu Beginn sehr durchquälen, denn der Altmeister schreibt über die amerikanische Zwischenkriegs- und Nachkriegsliteratur, leider meine größte Bildungslücke, denn Amerikaner habe ich wirklich zu wenig gelesen, die Österreicher hingegen habe ich in der Zeit sehr intensiv betrachtet. Dass Orwell in seiner Analyse der Literatur sehr stark die USA fokussierte, sollte meiner Meinung nach im Klappentext auch irgendwo stehen. Aber keine Sorge, gar so tief muss das Wissen auch nicht sein, nur meine eklatanten literarischen Lücken in Bezug auf die USA haben mich hier ein bisschen behindert. Aber dann kam ich plötzlich rein, denn Henry Miller und James Joyce traten auf den Plan. Orwell vergleicht Wendekreis des Krebses mit James Joyces Ulysses, wobei meine Meinung diametral entgegengesetzt zu der vertretenen Anlayse von Ernest Hemmingway ist. Ich halte nichts von Joyce und viel von Miller. Da bin ich ganz der Meinung von Aldous Huxley, der Lawrence verehrte und von Joyce angewidert war. Bravo Aldous, da bin ich ganz bei Dir, ich wundere mich nicht, dass ich Dich schon mit fünfzehn Jahren, angestoßen von unserem Deutschlehrer, begeistert gelesen habe. Orwell schreibt überhaupt sehr interessant über die amerikanische Nachkriegsschriftsteller-Truppe, von denen sich die meisten untereinander überhaupt nicht grün waren. Das Ganze ähnelt mehr einer Cliquenbildung voller Eifersüchteleien und Eitelkeiten auf einer Highschool, denn einer ernsthaften, sachlichen niveauvollen Literaturkritik. Letztendlich war ich dann doch die Richtige für Orwells Essay, erstens weil es intensiv um Politik ging und um die Salonkommunisten in Europa in der Zwischenkriegszeit. Und dann traten plötzlich Henry Miller und Anais Nin auf den Plan, da habe ich definitiv alles gelesen und konnte sehr gut folgen. Komisch ist aber schon, dass sich Orwell bei der Literatur des ersten Weltkriegs und der Jahre bis 1935 nie bei den Besiegten umgeschaut hat. Lediglich Erich Maria Remarque ist ihm eine Erwähnung wert, ansonsten keine Österreicher, die den Krieg und die Auswirkungen so treffend beschrieben haben wie beispielsweise Joseph Roth, Robert Musil, Stefan Zweig und viele andere mehr. Für mich bedeutet Mord etwas, das es nicht geben dürfte. Die Hitlers und Stalins halten den Mord für notwendig. Aber sie plakatieren ihre Rohheit nicht und bezeichnen sie nicht als Mord, sondern als „Liquidierung“, „Eliminierung“ oder dergleichen. Der Amoralismus Auden‘scher Prägung ist nur bei jemandem möglich, der immer gerade nicht da ist, wenn abgedrückt wird. In der linken Literatur wird viel mit dem Feuer gespielt, von Leuten, die nicht einmal wissen, dass Feuer brennt. Die Kriegshetze zu der sich die englische Intelligenz in der Zeit von 1935-1939 hergegeben hat, basierte zum Teil auf der persönlichen Gefahrlosigkeit. Gute Romane stammen nicht aus der Feder von Gesinnungsschnüfflern oder Leuten, die fortwährend in der Angst leben, nicht linientreu zu sein. Gute Romane werden von Leuten geschrieben, die keine Angst haben. Ian McEwan ordnet Orwells Essay dann für die heutige Zeit ein, gibt Hintergrundinformationen zum Gesamtwerk, der politischen Verortung und Biografie des großen Meisters und schlägt einen Bogen zu den derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in Europa. Dieser zusätzliche, aktuelle Analyseteil zum recht alten Essay ist extrem interessant. Fazit: Lesenswert! Mir persönlich hat das Werk ausnehmend gut gefallen, aber ich gebe nur eine beschränkte Empfehlung ab, denn das Büchlein ist nur für große Literaturliebhaber geeignet. Wenn Euch kaum ein Schriftsteller, den ich in der Rezension erwähnt habe, geläufig ist und ihr die Hauptwerke gar nicht gelesen habt, wird die Lektüre nicht die nötige Erkenntnis bringen, da zu viel an Kontext fehlt. Ich bin irgendwie auch begeistert, was dem Verlag da eingefallen ist, Orwells Werk derartig zu präsentieren, es aufzuwerten, sinnvoll zu ergänzen und zeitgemäß zu interpretieren – denn – und da bin ich ganz klar: Die Botschaft aus dem Bauch des Wals ist heutzutage topaktueller denn je.

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