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Dagmar

Posted on 20.2.2024

Rayyan wächst als Sohn staatenloser Palästinenser in Saudi-Arabien auf. Dort darf er auf Grund seiner Staatenlosigkeit nicht studieren, weswegen ihn seine Eltern nach Europa schicken. Das ist die realistische Ebene der Erzählung. Die zweite ist magisch-realistisch: Rayyan hadert mit der Frage, warum der Islam heute keine Hochkultur mehr ist. Ein Traum führt ihn daraufhin nach Mekka. Dort begegnet er dem geheimnisvollen Scheich Hasan, der ihm eine muslimische Gebetskette schenkt. „Finde die sieben verlorenen Perlen und du wirst verstehen, was dem Islam heute fehlt.“ Damit beginnt Rayyans Mission. Khorchides Erzählung ist klug konstruiert. Schon in Saudi-Arabien erfährt Rayyan wegen seines Status Ausgrenzung: fehlende Bildungschancen, schlechtere Jobs, keine Krankenversicherung. Als er mit dem Studium in Österreich beginnt, fällt er aus allen Wolken: er als fremder Student ist dort krankenversichert! Warum ist der Westen, der doch laut seiner bisherigen Lehrer dekadent und verdorben sei, barmherziger zu ihm als seine eigenen Glaubensbrüder? Als nächstes sucht er eine Moschee für sein Freitagsgebet. Die Suche gestaltet sich schwieriger als erwartet und führt die Leser*innen so nach und nach zu allen Ausprägungen des Islams in Europa. Dabei begegnen uns Frauen mit und ohne Kopftuch, Sufi-Meister, schwule Muslime, Fundamentalisten, Konvertiten – eben einfach die ganze Vielfalt des Glaubens. Mit jeder neuen Begegnung wird Rayyans Gebetskette ein bisschen vollständiger. In den wenigen schlechten Momenten des Buches hat diese Handlungskonstruktion den Charme eines hölzernen Lehrgedichts. Doch in allen anderen Momenten ist sie schlicht weg empathisch und augenöffnend. Denn das ist Mouhanad Khorchide wichtig. Er hat nicht die eine Deutung, die eine Auslegung des Glaubens parat. Er gibt Denkanstöße, die er gleich darauf von vielen Seiten beleuchtet. Dafür verbindet er das Gestern mit dem Heute, die Philosophie mit der Politik, die Moral mit der Realität, die Geschichte mit der Zukunft. Grundlegende Aspekte des Glaubens werden ausführlich und wertschätzend diskutiert und mit Koran-Zitaten belegt. Dabei wendet er sich ausdrücklich gegen einen politischen Islam, der den Glauben benutzt, um die eigene Macht zu stabilisieren und dafür Menschenrechtsverletzungen und Armut in Kauf nimmt. Stattdessen rückt er zentrale Werte der islamischen Kultur in den Mittelpunkt und schildert den Islam als eine zukunftsfähige Religion der Barmherzigkeit und Menschenliebe.

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