awogfli
Ich mag den Dirk Stermann – das Dirkaalaaan, wie er ein einem Sketch so liebevoll genannt wurde – sehr gerne. Der in Duisburg geborene Komiker, Kabarettist, Radiomoderator, Fernseh-Late-Night-Talker und Buchautor, der seit 1988 in Österreich lebt, weil er dem deutschen Numerus Clausus nicht entsprochen hat und deshalb in Österreich sein Studium anfing und abbrach, erfüllt und füllt tatsächlich zu einem großen Teil einen speziellen Beruf und seine Parade-Rolle aus: Er ist das Beispiel einer gelungenen Integration eines deutschen Staatsbürgers in die österreichische Gesellschaft. Wenn Ihr nun meint, das wäre bei unserer gemeinsamen Sprache nicht nötig, dann irrt ihr gewaltig, denn die Kulturen sind doch höchst unterschiedlich. Diese Herkulesaufgabe der Integration – er nennt sie auch noch sehr boshaft Entpiefkenisierung* hat Stermann höchst vergnüglich in seinem ersten autobiografischen Roman Sechs Österreicher unter den ersten fünf verarbeitet, in dem er witzig und respektlos sowohl die österreichische als auch die deutsche Seele ziemlich genau seziert und auf die Schaufel nimmt. Nun hat er seinen zweiten autobiografischen Roman geschrieben – dazwischen gab es einige Bücher und auch Romane, aber eben nichts Autobiografisches – und dieser ist erneut neben witzig-bissig auch noch ein bisschen mit Botschaft. Ich schätze die Schreibe vom Dirkaalaaan sehr, literarisch zwar keine Höchstleistung aber sprachlich ansprechend, sehr vergnüglich, mit teilweise bösartigem, manchmal auch politisch inkorrektem Humor, menschlich tiefgründig, ehrlich und empathisch. Dabei ist natürlich schon spannend, auch darüber zu spekulieren, welches Gschichtl völlig wahr und welche Teile komplett frei erfunden sind. „Nach Auftritten müssen am Parkplatz des jeweiligen Theaters Zuschauerinnen für sexuelle Dienste zur Verfügung stehen.“ Das sage ich bei jedem meiner Auftritte. […] Manchmal wird gelacht, manchmal geklatscht. Ich habe mich immer gefragt, ob es tatsächlich Frauen gibt, die nach dem Auftritt auf dem Parkplatz auf mich warten und sich dann denken. „Typisch ORF-Arschloch. Da steh ich jetzt gamsig, und der Trottel versetzt mich.“ (Hier muss ich noch eine persönliche Anmerkung hinzufügen. Bei seinem Auftritt in Krems oder in Langenlois, bei dem ich nicht anwesend war, haben mir nachträglich zwei meiner Freundinnen getrennt voneinander erzählt, dass sie mit dem Dirk etwas hatten. Auch hier habe ich keine Ahnung, ob das nur gut erfunden war.) Zu Beginn von Maksym erfährt man, dass Stermanns erster autobiografischer Roman Sechs Österreicher unter den ersten fünf zur Trennung von seiner ersten Frau geführt hat, die nicht damit umgehen wollte und konnte, dass so viel Privates aus der Beziehung in Form eines Buchs in der Öffentlichkeit ausgewalzt wurde. Das Werk war ein Todesstoß für seine Beziehung und Trennungsgrund. Seiner zweiten Frau Nina, mit der er mittlerweile auch ein Kind hat, hat er vorab geschworen, ihr so etwas nicht anzutun, wenngleich die Verlage natürlich sehr darauf drängen, da sie sich erneut einen Bestseller versprechen. Ihr seht also, der ganze Plot ist schon zu Beginn spannend, denn Nina und ihr Sohn Herrmann finden sich gleich zum Start von Maksym als Protagonisten der Story wieder, was sich wahrscheinlich ex post betrachtet sehr schlecht auf die Beziehung von Dirk ausgewirkt hat. Sehr vergnüglich schildert Stermann die Kalamitäten einer sich wandelnden Beziehung. Nina hat nun jahrelang ausschließlich das Kind versorgt und ihre Karriere zurückgestellt, während Dirk als Vater, meist völlig abwesend, an mindestens 180 Tagen im Jahr (die beiden sind sich im Streitfall nicht sicher wie viele Tage) durch Österreich tingelte. Die Nicht-Präsenz als Papa von Hermann manifestiert sich auch dadurch, dass ihn sein Sohn Banksy nennt, einen Künstler, den niemand kennt und dessen Identität nur durch seine Werke gekennzeichnet ist. Als Nina nun die Chance erhält, für ein halbes Jahr in New York österreichische Künstler zu vertreten, muss Dirkaalaan als Vater ran. Entweder indem er als quasi Vollzeit-Papa seinen „Nebenjob“ massiv reduziert und sehr viele Termine absagt, oder indem er sich um eine ordentliche Kinderbetreuung während seiner Tournee durch Österreich kümmert. Ganz der gelernte Mann, der meint, Betreuungspflichten organisieren sich von selbst und sich halbherzig nur ein einziges Kindermädchen anschaut, das sein Sohn Hermann hasst, lässt er die Angelegenheit schleifen und meint, im Hinterkopf irgendeine Frau, vielleicht auch Nina, wird schon zurückstecken, die Kohlen in der Not für ihn aus dem Feuer holen und die Betreuung selbst übernehmen. Da hat er aber nicht mit Nina gerechnet. Die kurzerhand – eigentlich kurz vor ihrem Jobantritt – als die Angelegenheit zu eskalieren droht, einen Babysitter engagiert, den Dirk in den Bewerbungen rigoros abgelehnt hat. Maxym, der sich mit folgendem Satz schriftlich vorgestellt hat: „Mache alles“ Maksym ist übrigens Ukrainer und hier wird dieser Roman erneut zu so einer herzerwärmenden gegenseitigen Integrationsgeschichte. Dirk hat viele Vorurteile, nähert sich seinem Babysitter an und findet heraus, dass dieser in fast allen Facetten seines Lebens sehr vielschichtiger ist, als er überhaupt gedacht hat und in ein paar kleinen Aspekten dennoch Dirks Ressentiments bestätigt, denn Maksym ist tatsächlich sehr gut mit der Unterwelt vernetzt. Das entspricht dem, wie er aussieht, hilft Dirk aber, irgendwann ein paar eigene Probleme zu lösen und so kurios es sich anhört, definitiv auch ein bisschen bei der Kindererziehung. Hermann ist auch begeistert vom neuen Babysitter/Freund, für einen richtigen Babysitter ist der kleine Junge natürlich schon viiel zu alt. Sein stark in die Jahre gekommener spätberufener Vater Dirk ist ihm oft ein zu wenig mutiges und agiles Vorbild. So wuppen die beiden Männer ohne Ninas Hilfe das tägliche Leben mit dem Kind, quasi in der „Zweieinhalb-Männer-WG“, jeder von beiden stellt für Hermann ein positives männliches Vorbild dar. Zur Integration und Bewährung der Freundschaft zwischen den beiden Männern kommt es, als Dirks Leben völlig aus den Fugen gerät. Was zeichnet die Schreibe des Autors aus? Da ist mal der trockene, des Öfteren bösartige und absurde Humor, der ganz meine Baustelle ist, die Fabulierkunst, die sich manchmal vom Hundertsten ins Tausendste vergaloppiert, ohne aber Verwirrung und Redundanzen zu produzieren, die sehr liebevoll konzipierten Figuren, die das Gegenteil von schablonenhaft sind, und dann ist da auch noch die Selbstkritik, die Ehrlichkeit, eigene Fehler auch zuzugeben. Das macht den Roman zwar zu keinem literarischen Meisterwerk, aber zu einer sehr relevanten menschlichen Geschichte mit Botschaft. Der Vorteil beim Kinderwagen für ältere Väter ist, dass sie ihn gleichzeitig als Gehhilfe nutzen können. Dort wartete neben mir ein Mann, […] Das Gesündeste an ihm schien die Zigarette in seiner Hand zu sein, die er zwischen Mittel- und Ringfinger hielt. Wie Houellebecq, dachte ich. Der Mann hatte wirklich Ähnlichkeit mit dem Schriftsteller, der inzwischen ja immer mehr aussieht, wie das Nachher-Bild einer Drogenwarnkampagne. Wie viel Botox bräuchte es, um aus Houellebecq den Mann zu bauen, dem man glaubt, dass attraktive junge Frauen aus dem Maghreb gern an seinem Sack lutschen? Fazit: Absolut lesenswert! Schwarzhumorig, absurd, melancholisch, ehrlich, menschlich. Eine autobiografische Geschichte mitten aus dem Leben, bei der natürlich auch noch der Clou dabei ist, dass man rätseln kann, was davon erfunden und was wirklich so passiert ist. Da Humor aber nicht bei jedem Menschen gleich wirkt und sehr speziell ist, gebe ich für Freunde der Political Correctness keine Leseempfehlung ab, denn da kommt diese Geschichte streckenweise schon zu sehr mit dem Holzhammer daher. *Piefke…. eine wenig charmante Bezeichnung für (Nord)Deutsche (das heißt jenseits des Weißwurstäquators) in Österreich. Die Verwendung in Österreich wurde wohl durch das Auftreten Johann Gottfried Piefkes (1815–1884) verstärkt, der als preußischer Militärmusiker ein bekannter Teilnehmer der deutschen Einigungskriege war.