Profilbild von awogfli

awogfli

Posted on 8.12.2023

ch kann all die Kritiken, die ich vorab über das Werk gelesen habe nachvollziehen, wenngleich ich sie nicht teile. Ja, das ist ein völlig untypischer Joseph Roth, zu wenig Politik stattdessen ein bisschen Agentendrama und Liebesgeschichte und dennoch war ich trotzdem begeistert und wusste zuerst gar nicht warum. Als mir mein Buddy-Read-Partner Armin mit einem Wort den Hinweis gab, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Rothsojewski. Ja, hier probiert sich Joseph Roth an so ähnlichen Settings und Stoffen wie Dostojewski. Armin, der mir ja immer literaturwissenschaftlichen und historischen Hintergrund liefert, meint, das sei dem Exil, der Geldnot und dem Alkoholismus geschuldet. Was hier also aus der Not geboren wurde, ist für meine Begriffe der bessere, der optimierte Dostojewski. Ein von intellektuellem Lametta befreites Werkstück. Endlich fehlen diese lähmende epische Breite, diese politisch und philosophisch sinnbefreit daherschwafelnden nutzlosen Adeligen, diese durch intellektuelle Gehirnwichserei in Form von Geplapper kaschierten Figuren, die nur verdecken sollen, dass sich innerlich und psychologisch gar nichts in diesen Menschen abspielt, dass sie innerlich total tumb und leer sind. Denn eines konnte Roth schon immer: aus den österreichischen Adeligen, die ja aus derselben Schicht sind, wie die russischen und auch so ähnlich ticken, kurz und knackig und wortgewaltig ironisch und sehr intelligent den Nukleus, das Wesen und die tiefe Psyche der Protagonisten relativ knapp im Vergleich zum russischen Schwätzermeister herauszuschälen und knapp zu skizzieren. Dabei gibt es bei der Entfernung des intellektuellen Lamettas nicht zwangsläufig einen literarischen Qualitätsverlust, sondern im Gegenteil einen Turbo der Exzellenz, wenn sich ein Meister wie Roth daran macht, so ein Werk zu Remixen und literarisch zu minimalisieren. Versteht mich nicht falsch, wenn ich den russischen Meister so bashe, wer mich kennt, kennt auch meine Meinung zu ihm. Beim ersten Roman „Der Idiot war ich noch ob des Fabuliertalents enorm begeistert, und wenn man jeden Roman für sich einzeln sieht, die Bücher in weiten Abständen voneinander liest, und sehr leicht einzelne Passagen vergessen kann, dann mag man auch bei dieser Meinung bleiben. Aber ich habe den Fehler gemacht, mir die Gesamtausgabe von Dostojewski zu kaufen und wie Ihr wisst, HASSE ich Redundanzen glühend. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viele Dialoge dieser nutzlosen Protagonisten sich in den Werken in ein paar minimalen Variationen wiederholen. Ständig labern alle das Gleiche. So kam ich zur Erkenntnis: Kennst Du einen Dostojewski, kennst Du alle und kann mich auch zu dieser unnötigen epischen Breite als eitlem Selbstzweck und um Seiten zu füllen, respektive die Bücher dicker zu machen, nicht mehr positiv äußern. Dasselbe kreide ich auch vielen amerikanischen Autoren an, die diese Unart zur Mode gemacht haben, damit die Romane mehr als 500 Seiten haben. Tom Wolfe klammere ich übrigens aus, denn da sitzt jeder Satz. So, aber nun habe ich mich in meiner Rechtfertigung, den russischen Meister abzumontieren, ein bisschen verfabuliert. Kommen wir zu Roth zurück, der diesmal keine österreichische sondern eine russische Gesichte im Stile Dostojewskis erfunden hat. Sehr spannend geschildert, ein Russe namens Golubtschik erzählt in einem Lokal der versammelten Gästeschaft seine Lebensgeschichte. Als unehelicher Sohn eines Fürsten Krapotkin wird er vom leiblichen Vater nicht anerkannt, auch weil er während der Ehe seiner Mutter mit dem Förster Golubtschik geboren wurde. Der tiefst gekränkte junge Mann projiziert all seinen Groll, der eigentlich seinem Erzeuger gilt, auf den legitimen Ziehsohn des Fürsten, seinen Halbcousin, der ihm angeblich seinen berechtigten Status streitig macht. Dabei wird er aber mehrmals darauf hingewiesen, dass wahrscheinlich Dutzende von seiner Art existieren, denn der Fürst war kein Kind von Traurigkeit und hat viele Ehefrauen und Töchter beglückt. Als er ins Haus seines Vaters in Odessa eindringt und abgewiegelt wird, darf er sich als Trostpflaster einen Job aussuchen, den die Protektion des Fürsten gewährleistet. Er wählt die Geheimpolizei und missbraucht seinen Job mehrmals. Als er sich unsterblich in die Französin Lutetia verliebt und ihm sein Halbcousin und legitimierter Erbe des Fürsten bei dieser Beziehung in die Quere kommt, versucht er, seinen Widersacher anzuschwärzen. Da der legitime Krapotkin aber bessere Beziehungen hat und das Wort eines kleinen Polizisten nicht zählt, wird ein anderer, ein Jude für das Vergehen nach Sibirien deportiert. Golubtschik muss zur „Strafe“ als russischer Agent ins Exil nach Paris und darf bei seiner Lutetia weilen. Als Decknamen und um die höheren Kreise zu bespitzeln, bekommt er tatsächlich den Pass eines Krapotkin. Nun ist seine offizielle Tarnidentität als Spion in Paris mit seiner gefühlten Identität als Sohn des Fürsten im Einklang. Was für eine geniale Konstruktion, denn was sich hier nachhaltig zum immanenten Problem entwickelt, ist ein besonderer Umstand, den er bei der anfänglichen Begeisterung nicht berücksichtigt hat. Es fehlt nämlich ein wesentlicher Faktor zum echten Krapotkin, nämlich das Geld, das seinen Status auch manifestieren würde. So versucht Golubtschik/Krapotkin mit seinem kleinen Agentengehalt ständig in Geldnöten seiner Geliebten den Haushalt eines reichen Mannes zu offerieren, um die Dame nicht zu verlieren. Da es für bestimmten, besonders infamen, gewitzten, schändlichen Verrat gute Prämien vom Arbeitgeber gibt, verrät er seine eigenen moralischen Werte immer mehr und überschreitet jegliche Grenzen, um seine Liebe zu halten und zu unterhalten. Das vorläufige Ende mündet in einem furiosen Finale, das dann auch noch nicht den Schlusspunkt setzt, denn Roth hat sich noch einen Plottwist auf den letzten Seiten ausgedacht. Ganz der Meister der Handlungsstränge, gibt es im Prinzip zwei Finale. Ach ja, der Verführer und Teufel kommt in der Geschichte in der Person des Lakatos vor, der in allen gravierenden Lebensumbrüchen unseres Protagonisten gegenwärtig ist. Diese Figur ist aber auch als Gegenteil von plump konzipiert, es ist weder der Teufel in Persona mit Schwefelgeruch und Rauch, sondern ein einfacher hinkender Mann aus Ungarn. Der Teufel Roths ist auch nicht der vordergründige, überredende Verführer oder jener, der rachsüchtig Personen in eine Richtung treibt. Nein er bietet subtil Möglichkeiten wie ein guter Freund an und versucht, den Menschen nie mit Finten oder Verträgen übers Ohr zu hauen. Unser Protagonist Golubtschik/Krapotkin wird nie massiv in eine Richtung gedrängt, sondern kann immer nach eigenem Willen selbstbestimmt über sein Leben und den zukünftigen Weg entscheiden. So eine Teufelsinterpretation habe ich bisher auch noch nie gelesen, also jemand, dem man nicht mal einen Vorwurf für die eigenen Fehlentscheidungen machen kann, die man wirklich völlig autonom ohne Druck, Finte, Manipulation und Überredung getroffen hat, weil sie einem lediglich als Möglichkeit angeboten werden. Sehr gut! Fazit: Für einen Roth ungewöhnlich und vielleicht wegen dieser Anlehnung an den russischen Meister auch nicht der beste Roth, für einen Dostojewski aber grandios und durch einen Remix quasi verbessert. 😉

zurück nach oben