awogfli
Der Autor David Fuchs kennt sich sehr gut aus im Gesundheitssystem, kein Wunder, arbeitet er doch noch immer als Palliativmediziner. Zudem kann er auch interessante und spannende Geschichten erzählen, was er in seinen beiden Vorgängerromanen Leichte Böden und Bevor wir verschwinden hinlänglich bewiesen hat. Er zeichnet sich aus durch schnörkellose Sprache und bisher auch durch spannende Handlungen, neue Sichtweisen und Einblicke in das Thema Gesundheit, Krankheit und Gesundheitssystem und insbesondere durch tiefe, interessante Figurenentwicklungen. Leider habe ich diesmal weder den spannenden Plot, dessen Fehlen ich ihm noch verziehen hätte, noch die tiefgehende Figurenanalyse bekommen. So bleiben leider nur interessante Einblicke in die Pflege, eine langweilige Handlung und Protagonisten, die farblos sind. Schade, das geht dann für mich leider nicht über Mittelmaß hinaus! Dabei hätte die Geschichte durchaus Potenzial gehabt, denn Fuchs beschreibt insgesamt sechs Nächte auf einer heruntergewirtschafteten Pflegestation. Da gibt es den Pfleger Moses im Nachtdienst, der alle Dienste hintereinander abreißt, weil er anschließend auf Urlaub gehen will, oder seinen Job komplett an den Nagel hängen möchte, und in einer Nebenrolle die Pflegerin Angelika im Tagdienst, die immer die Übergaben macht. Eine weitere Protagonistin stellt die freiwillige Helferin Meta dar, die eigentlich in einer Bank arbeitet, sich für die Woche beurlauben hat lassen und aus welchen Motiven auch immer diese Arbeit im Nachtdienst probieren möchte. Der Bereitschaftsarzt Dr. Pomp, der schon pensionsmüde ist, zu viel trinkt und teilweise freiwillig die Aufgaben im Altenheim durchführt, sind im Prinzip das gesamte, zumindest geistig frische Personal in diesem Kammerspiel, das in einer völlig heruntergekommenen, teilweise schon aufgelassenen Pflegeeinrichtung stattfindet, die beim nächsten Todesfall endgültig aufgelassen werden soll. Ach ja, zwei Figuren habe ich vergessen: den Geist der Frau E., die am ersten Tag gestorben ist und Meta heimsucht und den Pflegefall Herrn T., der auch kurz vor dem Sterben steht und nicht mehr viel von seiner Umwelt wahrnimmt. Beide sind eher Objekte denn handelnde Akteure in dieser Erzählung. Zuerst möchte ich die Stärken des Romans hervorheben. Der Autor beschreibt sehr sachlich und exzellent den Stress, den Personalmangel, die desaströsen Zustände im Gebäude und die schwere Arbeit. Herr T. war, bevor er durch Krebs in die hilflose Lage seines Dahinsiechens kam, ein hoffnungsloser Frauenschläger, und der Autor diskutiert anhand der Figuren von Meta und Moses durch Dialoge und Beschreibungen im Nachtdienst sehr großartig folgende Fragen: Hat T. Fürsorge verdient? Wie ist das mit Professionalität, mit Abgrenzung, Empathie, Ekel und persönlichen Grenzen? Wie nimmt man sich bei solch einer Überforderung und dem permanenten Stresslevel überhaupt Pausen? Wie geht es mit den Bandscheiben bei so einem körperlich anstrengenden Beruf, bei dem die Leute auch permanent gehoben werden müssen? Wie stemmt man die hohe Verantwortung? Wie wird mit dem Tod umgegangen? Die Pflegesituation wird sehr gut dargestellt, auch pragmatisch sehr viele Fragen thematisiert, diskutiert und auch beantwortet. So, und nun kommt das riesige ABER, das ich schon eingangs beschrieben habe. Die ganze Story hat mich viel zu wenig gepackt, die Figuren sind zu oberflächlich entwickelt, als dass ich mich als Leserin identifizieren konnte und da in der Handlung auch wenig passiert, klafft hier eine Lücke, die einfach nicht gefüllt wird. Nie wird wirklich auf die persönlichen Gründe eingegangen, warum Moses gerade jetzt das Handtuch werfen will, was Meta bewogen hat, freiwillig in die Pflege hineinzuschnuppern und welche tiefgreifenden Probleme und Krisen Herr Doktor Pomp erlebt. Nahezu alles Persönliche ist ausgeblendet, die Protagonisten werden total eindimensional nur in Hinblick auf ihre Arbeit dargestellt. Fast wie kleine Androiden. Das tut mir auch insofern für diesen Roman leid, gerade weil ich weiß, wieviel besser das der Autor kann. Fazit: Wegen der Lücken in der Figurenbeschreibung, die sich nur auf die Arbeit bezieht und alle persönlichen Eigenschaften, Motivationen und Hintergründe der handelnden Personen im Ungewissen lässt, beziehungsweise ausblendet, als Roman leider nur mittelmäßig. Das ist für mich eher eine erweiterte Pflegereportage. Als solche natürlich sehr gut gemacht, aber zu wenig Substanz für eine längere Geschichte.