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awogfli

Posted on 18.10.2023

Eine junge Autorin schreibt also einen sehr sexpositiven Debütroman mit ausführlichen Beschreibungen des Verkehrs. Ist das nicht schon schwer genug, zieht ihr der Verlag die viel zu großen Schuhe eines sehr berühmten Autors an und vergleicht die Schriftstellerin mit Houellebecq mit: „Ein Buch für alle, die Houellebecq lieben, aber Houellebecq hassen.“ Was für ein Bärendienst wurde da dieser armen jungen Frau erwiesen. Denn dem kontraproduktiven Vergleich des Verlages kann sie selbstverständlich überhaupt nicht standhalten. Bei diesem Versprechen denke ich automatisch an Virgenie Despentes, die ich tatsächlich als zynische Geistesschwester und feministische Antagonistin zu Houellebecq einordne. Hier in diesem Debüt gibt es aber sprachlich hauptsächlich Banalitäten, keinen Funken von Zynismus in der Fabulierkunst, sondern nur recht ausführliche Sexbeschreibungen und teilweise toxische Beziehungen. Statt dass die Autorin literarisch Gas gibt, ist ihr wichtiger, ordentlich zu gendern, und die Figur der Protagonistin Milena bedauerlicherweise über weite Strecken der Geschichte recht flach zu halten. Warum tut die Figur Milena das, was sie tut? Hauptsache sie ist schon mit 14 Jahren sexpositiv, macht alles mit, was Männer von ihr wollen, mit ausführlicher Beschreibung der Sexualakte und fertigt, wenn sie geweint hat, ein Selfie von ihrer Wut an. Das hat mehr von einem modernen, weiblichen Charles Bukowski der Generation Y, als vom französischen Enfant terrible, denn Sex ist wahrlich nicht alles, was Houelle in seinen Geschichten transportiert. So war ich natürlich von den Versprechungen, die mir vom Verlag suggeriert wurden, enttäuscht, frustriert und so verärgert, dass ich die zugegebenermaßen gar nicht ganz so schlechte Geschichte überhaupt nicht genießen konnte. Milena hat und hatte drei komplizierte Beziehungen. Eine relativ gute zu ihrem älteren Jugendfreund David, der sie in ganz jungen Jahren wegen einer anderen verlassen hat und mit dem sie aber noch immer freundschaftlich verbunden ist. Zudem ab dem 14. Lebensjahr eine langjährige toxische Beziehung zu ihrem sehr viel älteren, verheirateten katholischen Jugendbetreuer Nick, der es auch mit anderen blutjungen Mädchen aus dem Jugendzentrum treibt und von Milena zusätzlich als Liebesbeweis wahllosen Sex mit fremden Männern in Swingerclubs verlangt. Immer stellt er auch eine Scheidung von seiner Frau in Aussicht, will sich aber gar nicht trennen, geschweige denn seiner Frau die Wahrheit sagen. Dieser unhaltbaren Situation versucht Milena erst im Alter von 20 Jahren endlich zu entfliehen und sich nach Jahren des Missbrauchs von ihrem toxischen Partner zu lösen. Aus diesem Grund fliegt sie zu ihrer Internetbekanntschaft Josh nach Irland und fängt auch mit ihm irgendwie eine Beziehung an, die ihr hilft, sich von Nick endgültig zu lösen. Erst am Ende der Geschichte wird die Flachheit der Hauptfigur endlich aufgelöst, indem im Nachgang die Analyse der verhängnisvollen Beziehung, endlich geliefert wird, die eigentlich recht ordentlich konzipiert ist. Gesamtbetrachtet – also, wenn man das Finale miteinbezieht – ist der Roman für ein Debüt nicht ganz so schlecht, wie es zu Beginn den Anschein hatte. Zumindest hat die Autorin tatsächlich eine relevante Geschichte zu erzählen, wenngleich sie sich handwerklich – sowohl in Sprachfabulierkunst und Dramaturgie noch etwas entwickeln sollte Fazit: Recht ordentlich, der Roman zeigt Potenzial, mit enorm viel Luft nach oben, vor allem, wenn der Verlag die Vergleichs-Messlatte für die Leserschaft bei Houellebecq einrasten lässt. Diese konnte natürlich nicht annähernd erreicht und sollte aber auch in keinem Fall irgendwie thematisiert und versprochen werden. Zumindest ist die Geschichte so interessant und gut, dass ich gerne einen zweiten Roman der Autorin lesen werde, um zu sehen, wie sie sich weiterentwickelt hat.

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