awogfli
Es scheint so, dass Fretten wie der Vorgängerroman Die Infantin trägt den Scheitel links punktgenau für literarische Preise geschrieben wurde. Fabulierkunst, die vor allem Kritikern gefällt. Da ist jedoch etwas, was mich an den Werken der Autorin persönlich gar so stört. Sprachlich ist dieser Roman derart opulent überorchestriert, dass sehr oft, beziehungsweise fast immer untergeht, was überhaupt in der Handlung passiert. Der Plot ist über die ganze Geschichte total unterkomplex. Da gibts eine Orgie mit Saufen, Kotzen, Drogen, Tanzen, Gewalt und Sex - und bumm, ist im nächsten Kapitel das offensichtlich in der vorhergehenden Szene gezeugte Kind schon mindestens 3 Jahre alt - so schnell und sprunghaft vor und zurück in der Chronologie gehts eben dann auch nicht. Hier wäre eine Dramaturgie-Schulung dringend notwendig. Aber auch an der Sprachfabulierkunst habe ich durchaus etwas auszusetzen. Zu Beginn bezeichnete ich sie noch als opulent und überbordend, bemerkte aber dann, dass sie des Öfteren einfach immer gleichartigen Mustern folgte, was irgendwie auch das Gegenteil von innovativem Schreibhandwerk darstellt. Hier werden teilweise nicht wirklich zusammenpassende Hauptwörter und Verben miteinander oder mit Adjektiven paarweise, in Trilogie oder Quartett mit demselben Anfangsbuchstaben oder ähnlichen Wortteilen zusammengewürfelt, um neuartige kuriose blumige Sätze zu kreieren. „Empörung auf ihren Emporen auf die sie steigen, um sich über mich zu erheben. So ein Einzelner sei ein Einzeller, schreien sie, ob ich wisse was ich dem Kind antue.“ „Die tiefe Stimme deiner Marlboro-Mutter und ihr krächzendes Kolorit aus der Kaiserzeit beruhigt dich allmählich, vielleicht ist es aber auch das Papperlapapp der plappernden Pappeln im Wind, unter denen wir stehen, du eingewickelt in die dicke Tuchent und ich halbnackt und barfuß im Schnee.“ Eine Szene hat mich aber sehr beeindruckt, Helena Adler ist die grauslichste, verstörendste und epischste Schilderung einer Geburt ever - aber wahrscheinlich auch die realistischste - gelungen. Wenn die Endorphine der Mutter nicht kicken und sie nachträglich alles schönredet, kann eine Geburtsbeschreibung nahe der Wirklichkeit durchaus so ausschauen. Alleine vor diesen paar Seiten geballte, fürchterlichste Realität kann ich nur den Hut ziehen. Sonst passiert wie gesagt nicht sehr viel in der Geschichte, wenn man vom Werk die seitenweise künstlich konstruierten Wortschöpfungen subtrahiert: Die jugendliche Protagonistin rebelliert gegen das Dorf, macht sehr viel Party, wird schwanger, ist leidendes und erschöpftes, aber liebendes Muttertier, der Vater des Kindes bleibt völlig im Hintergrund, was kein Fehler ist, der Sohn ist häufig krank und gesundet irgendwann wieder. Das Ende verpufft bedauerlicherweise auch noch. Fazit: Wer Sprachspielereien eingesetzt wie musikalische Variationen mag, ist hier ganz gut aufgehoben. Alleine für die Geburtsszene gebe ich persönlich drei Sterne. Das war ganz großes Kino, ich muss sie aber mit einer ernsthaften Triggerwarnung für zartbesaitete Gemüter versehen.