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Wiener Geisterstunde „Ein etwas heikler Fall, da brauche ich jemanden mit Fingerspitzengefühl. Jemanden wie Sie, Herzfeldt!“ (S. 23) Oberpolizeirat Moritz Stukart setzt aus mehreren Gründen auf Inspektor Leopold von Herzfeldt: Der in einer Gruft unter dem Stephansdom ermordete Dr. Lichtenstein war sein Freund, und er war Jude – genau wie Leo und Stukart. Als Tatortfotografin Julia Wolff, Leos Freundin, die von ihr am Fundort gemachten Bilder entwickelt, entdeckt sie darauf etwas, für das es keine natürliche Erklärung gibt. Bedeutet das, dass es in der Gruft wirklich spukt? Und wenn nicht, wie können sie es beweisen? „Möglicherweise ist Spuk ja nur ein Name für etwas, für das die Wissenschaft noch keinen Namen gefunden hat.“ (S. 77) Julia bitte den Totengräber Augustin Rothmayer um Hilfe, der sie auf die richtige Spur bringt. Dabei hat er gerade ganz andere Probleme. Ein Freund seiner Ziehtochter Anna aus dem Waisenhaus hat sich blutüberströmt zu ihnen auf den Friedhof geschleppt und etwas vom Nachkrapp genuschelt, der nachts Kinder aus dem Schlafsaal holt, bevor er in Rothmayers Armen stirbt. Anna ist verzweifelt und bringt ihn und Julia dazu, nachzuforschen, warum ihr Freund sterben musste. Leo, Julia und Rothmayer sind sich sicher, dass hinter den Morden kein Geist und kein Nachtkrapp stecken, sondern Menschen. Aber sie können es nicht beweisen und Stukart und die Öffentlichkeit machen Druck, angefeuert von der Presse, die oft vor der Polizei weiß, was als nächstes passieren wird. Lichtenstein hatte sich durch die Aufklärung von spiritistischem Humbug viele Feinde gemacht, zuletzt bei der Séance einer berühmten Operndiva. Diese weigert sich leider, dazu eine Aussage zu machen und lädt Leo stattdessen zur nächsten Zusammenkunft ein: „Übermorgen, um Mitternacht, zur Geisterstunde. Seien Sie rechtzeitig da.“ (S. 61). Dort lernt er einen sehr illustren Kreis kennen, zu dem auch der englische Schriftsteller Arthur Conan Doyle gehört, mit dem Leo allerdings wenig anfangen kann: Kriminalfälle hat er im Dienst genug, die braucht er nicht auch noch nach Feierabend. Außerdem quält ihn die Eifersucht, denn Julia trifft sich regelmäßig mit einem Freund aus Kindertagen. Und dann macht auch noch seine Mutter Urlaub in Wien und freundet sich mit Doyle an… Leo konnte einem diesmal richtig leidtun. Der Fall ist extrem verzwickt und wie von Stukart befürchtet, interessiert der „tote Jude“ kaum jemanden. Stattdessen muss sich Leo wieder mit den giftigen Bemerkungen und Vorurteilen seiner Kollegen auseinandersetzen, obwohl er sich selbst gar nicht als Jude, sondern als Mensch bzw. Polizeiinspektor sieht. Außerdem fordert seine Mutter viel Zeit für sich ein, wenn sie ihn schon mal besucht. Und sie hätte auch nichts dagegen, wenn er endlich heiratet – aber doch nicht unter seinem Stand und schon gar keine (Tatort)Fotografin! Zum Glück ist Julia nicht auf den Mund gefallen und bietet ihr ordentlich Paroli. Julia hadert mit ihrer Beziehung zu Leo, Weil sie nicht nur die Standesunterschiede trennen. Er blendet gern ihre uneheliche Tochter aus, unternimmt oft etwas nur mit ihr allein und auch das immer seltener. Sie fühlt sich von ihm vernachlässigt und freut sich darum über die Aufmerksamkeiten ihres alten Freundes – zumal der aus derselben Schicht wie sie kommt und die gleichen Sorgen und Probleme hat. Der Totengräber wiederum sorgt sich um Anna, die ihn immer mehr an seine verstorben Tochter erinnert. Als sie sich selbst auf die Suche nach dem Nachtkrapp macht, hat er Angst, sie auch noch zu verlieren. „Der Totengräber und der Mord in der Krypta“ ist bereits der dritte Fall des ungewöhnlichen Ermittlertrios und mindestens genauso fesselnd und interessant wie seine Vorgänger. Ich fand es faszinierend, wie Oliver Pötzsch den Spiritismus und die Parapsychologie, die damals gerade „in“ waren, und den berühmten Schriftsteller Arthur Conan Doyle einbindet, der ja bekanntlich ein großer Anhänger / Verfechter des Spiritismus war. Für mich ist auch dieser Band wieder ein echtes Lesehighlight und ich hoffen, dass Leo, Julia und Rothmayer bald wieder auf Verbrecherjagd gehen, auch wenn hier am Ende einige Veränderungen angedeutet wurden. Ein absolutes Muss für alle Histo-Krimi-Fans!