awogfli
Ich schätze die Autorin seit ihrem letzten Roman Liebe/Liebe und war damals schon beindruckt, wie empathisch sie komplett furchtbare Ereignisse erzählen kann, sodass man als LeserIn völlig gefangen und involviert ist, ohne grausam, abgestoßen oder überfordert zu sein. Pelny beschrieb damals heftig und aufrüttelnd aber auch gefühlvoll und positiv wie Traumata eines Missbrauchs überwunden werden können. Irgendwie kommt sie mir vor wie eine Anwältin, Therapeutin oder Fürsprecherin der Opfer, die sehr sensibel diese Thematik an Unbetroffene weitervermitteln kann. Auch dieser Roman betont erneut die Stärken der Autorin und folgt demselben Konzept. Diesmal geht es darum, dass eine Mutter ihre 14-jährige Tochter Etty in Berlin durch Vergewaltigung und anschließenden Mord verloren hat. Die Geschichte wird aus Sicht ihrer besten Freundin erzählt, die mangels eigener Kinder auch eine sehr innige Beziehung zum Opfer hatte. Der gesamte Plot umfasst eine relativ kurze Zeitspanne von der Tat bis ein paar Wochen nach dem Begräbnis und schildert detailliert die einzelnen Phasen der Trauer und Bewältigung aller involvierten Personen, aber auch die Reaktionen des gesamten Umfeldes. Die Aufarbeitung beginnt mit der Leere und Depression nach dem Ereignis, die zu erledigenden organisatorischen Aufgaben, die gezwungenermaßen unbedingt abgewickelt werden müssen. In diesem Fall kommt vor der Planung Bestattung noch die Konfrontation mit den Ermittlungsbehörden verschärfend dazu und die Ungewissheit, wann endlich die Leiche aus der Gerichtsmedizin freigegeben wird. In allem unterstützt unsere Protagonistin, ihre beste Freundin Heide, die völlig apathische und wahrscheinlich selbstmordgefährdete Mutter des Opfers so gut sie kann, obwohl sie selbst auch komplett verzweifelt ist, weil sie das Mädchen fast als ihre eigene Tochter gesehen hat. Dabei hat unsere namenlose Ich-Erzählerin selbst auch noch so ihre eigenen zusätzlichen Probleme, die Oma ist alt und gebrechlich und braucht ihre Hilfe, der Job beim Produktionsteam von Bauer sucht Frau muss weitergehen und viele andere Baustellen sind auch noch zu erledigen. In dieser Phase zeigt sich, wer die wahren Freunde sind. Viele absentieren sich, weil sie bei so einer schrecklichen Tat nicht wissen, was sie sagen sollen, lassen sie die Trauernden komplett im Stich. Einige wenige wie Sophie sind einfach da und machen das Richtige, Michi stellt bei Heide zumindest Essen vor die Türe. Der Klappentext beschreibt sehr gut, was der Roman verspricht und auch völlig einhält. Wie weiterleben? Wie jeden Tag aufstehen? Wie sich in der Wohnung aufhalten, in der auch Etty zu Hause war? Und wie in der Stadt Berlin, in der sie sich nicht länger frei, sondern gefährdet fühlen. Im Schwebezustand, aufgeladen mit Liebe, unterfüttert mit Hilflosigkeit erleben wir in diesem Roman eine aufrichtige Selbstverständlichkeit von Fürsorge und Zusammenhalt, wie sie selten gezeigt wird. Nicht oft habe ich Emotionen so großartig punktgenau beschrieben bekommen, ohne Kitsch, aber sehr blumig wortgewaltig. Jetzt sitzen wir voreinander, miteinander, beieinander. Nichts bringt etwas. Das Schweigen genauso wenig wie das Reden. Es fühlt sich so an, als wären wir in einem Ballon. Als wäre zwischen uns und der realen Welt eine dicke Scheibe, durch die wir zwar schauen, aber die wir nicht durchbrechen können. Als sich herausstellt, wer Etty ermordet hat, macht sich keine Erleichterung breit, im Gegenteil, alle kennen den Täter, sind entsetzt und fühlen sich nun völlig unsicher. Bald ist die Protagonistin ziemlich aufgerieben zwischen der Sorge um ihre Freundin Heide und der um ihre Großmutter, zumal sie meint, beide nicht mit ihren eigenen Problemen belasten zu können. So weiß weder die Oma vom Tod und von der Trauer um Etty und Heide nichts von den Problemen mit der Großmutter und den anderen Baustellen. Als sich die Lage entspannt und sich die Ich-Erzählerin endlich ein Herz fasst, um bei beiden über ihre Anliegen zu reden, geht die positive Aufarbeitung voran und alle können ein bisschen heilen. Fazit: Ein sehr sensibles und wundervolles Buch über die Bewältigung von Verlust und Trauer durch Freundschaft und Liebe. Und das auch noch ohne jeglichen Kitsch präsentiert mit einer grandiosen, glaubwürdigen, allmählichen Entwicklung, die letztendlich in vorsichtigem Optimismus endet. Absolute Leseempfehlung!