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awogfli

Posted on 14.6.2023

Ich kann den Jubel um dieses „sensible“ Buch nicht nachvollziehen. Ja, es behandelt ein wichtiges Thema, nämlich die Pflege von alten, dementen Menschen, respektive der Großmutter, und es ist ausnahmsweise diesmal nicht eine Frau, die sich unentgeltlich und mit Verzicht auf eine gute Pension um die Pflege kümmert, sondern ein junger Mann der ein bisschen in Sorgeaufgaben dilettiert, indem er die selbstverständlich weibliche 24-Stunden-Pflege organisiert und hin und wieder einspringt, wenn ein Notfall gegeben ist. Hurray! Ein Mann, der viel weniger macht als Millionen Frauen in Vollzeit und Teilzeit, da muss man sich ob seiner wundervollen Sensibilität gleich vor ihm auf den Poden werfen, weil er so gut ist. Nachdem uns dieser Märchenprinz Tom als ebensolcher präsentiert wird, ist auch schnell klar, warum der Geschmack in meinem Munde von Zeile zu Zeile immer bitterer und letztendlich sogar gallig wurde. Ja, als sich die Omma den Oberschenkelhals brach, war einiges für die 24-Stunden-Pflege zu organisieren. ABER: Es ist in diesem Haushalt auf Grund des Erbes genug Geld für 24 Stunden-Pflegerinnen da und Tom muss sich nicht rund um die Uhr kümmern, sondern nur hin und wieder einspringen. Aber selbst das überfordert ihn im Zusammenhang mit dem Job und diese Strategie, Aufgaben durch Hilflosigkeit an andere auszulagern, wird auch kein einziges Mal kritisch betrachtet. Das Delegieren der Drecksarbeit in der Firma an seine Arbeitskollegin, die seinen eigenen Chefposten wuppen muss, ohne dafür das Chefgehalt zu kriegen, weil er ja so arm mit seiner Oma ist, ist natürlich selbstverständlich und wird völlig unreflektiert von der Autorin als positiv dargestellt. Als die Kollegin sich wehrt und sie kurz vor dem Burnout steht, bietet ihr dieser „Märchenprinz“ nach Monaten den Co-Chef an, ohne ihr zusätzliche Ressourcen zu besorgen. Ein anständiger Mensch wäre gleich in eine normale Mitarbeiterposition gegangen, oder hätte sich beurlauben lassen, damit wer anderer eingestellt hätte werden können. Aber Karriere von Männern zugunsten von Frauen geht vor. The same procedure wie immer: Frauen ausnutzen, Gehalt kassieren, jammern und andere für sich arbeiten lassen, das kennen wir ja, aber so antifeministisch das total unreflektiert auch noch als Heldentat hinzustellen, weil die Omi einmal in der Woche zusätzlich Hilfe braucht, das macht mich fassungslos. Wie macht denn da eine alleinerziehende Mutter, die auch eine Karriere wuppt und deren Kinder auch mal Support brauchen? Und kommt mir nicht mit der dementen, gehbehinderten Omma, die hat 24-STUNDEN-PFLEGERINNEN, also auch wieder Frauen, die die ganze Drecksarbeit machen. Dieser Tom ist sowieso ein Mehlwurm, seine Trennung von der ehemaligen Lebensgefährtin Eva kriegt er nicht ordentlich hin, weil er nicht Tacheles reden kann, ständig weicht er einem ordentlichen Ende aus. Eine aufkeimende Beziehung zu einer der Pflegerinnen lässt er auch in der Schwebe, weil er sich nicht traut, sich zu offenbaren. Er hadert und schmachtet so lange, bis sie ihm die Entscheidung abnimmt. Dass so ein Protagonist ein Langweiler vor dem Herrn ist, müsste klar sein. Dass das Buch zudem auch sterbenslangweilig ist, weil sich dieser Mensch zu gar nichts aufraffen kann, ist leider ein Verbrechen gegen meine 10 Literatur-Gebote: Du sollst nicht langweilen. Fazit: Keine Empfehlung! Langweilig! Und dass ich ob der dargestellten Sensibilität zu jubeln beginne, wenn ein Mann sich nur ein Fitzelchen um Pflege kümmert und dabei mehrere Frauen ausnützt, dazu wird mich auch keiner mehr in meinem Leben bringen.

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