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awogfli

Posted on 22.3.2023

Passend zum Weltfrauentag begann ich den neuen Roman von Gertraud Klemm, und ich war sehr angetan, wenn auch nicht ganz so begeistert wie von Hippocampus. Die Autorin erfand ein perfektes Setting für ihre Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen des Feminismus. Fünf Frauen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Charakters, unterschiedlicher sozialer Herkunft und unterschiedlicher feministischer Schule, beziehungsweise mit völlig verschiedenem Zugang zum Thema beziehen gemeinsam eine Wohngemeinschaft. Die fiktive, grandios geplante Ausgangssituation gibt viel Raum und Potenzial, um die gegenwärtigen Strömungen des Feminismus zu diskutieren, die aktuellen Forderungen und Probleme aufs Tapet zu bringen und diese möglicherweise auch eskalieren zu lassen. Der Clou dabei ist auch noch, dass dieses Projekt als ein Reality-TV-Format a la Big Brother, respektive natürlich eher Big Sista live im Fernsehen übertragen werden soll. Die sehr heterogene Truppe der Feministinnen konkurriert im selben Format auch noch mit einer queerfeministischen WG und einer Granny-Wohngemeinschaft. Alle sollen abwechselnd vom Publikum besucht werden. Um für die Fernsehzuschauer passende Action mittels Provokationen zu generieren, nimmt der Moderator selbstverständlich in die Wohngemeinschaften auch Gäste mit, die mit den Lebensentwürfen der Bewohner*innen massiv kollidieren. Also die Damen werden nun perfekt wie in einem Schachspiel aufgestellt, da wird zuerst die wichtigste Protagonistin eingeführt, die WG-Gründerin und Frauen-Urgestein Simone Herbenstreit, Altfeministin der zweiten Welle und heute als TERF (Transexkludierende radikale Feministin) und SWERF (Sexwork exkludierende radikale Feministin) gebrandmarkt. SWERF, sind jene Feministinnen, die das Nordische Modell propagieren und Freier bestrafen wollen. Simone hat ihr Leben lang für Frauenrechte gekämpft, sich sogar eine gewisse berüchtigte Berühmtheit in der Gesellschaft mit ihrem politischen Engagement erarbeitet, sollte eigentlich schon in Pension sein, betreibt ihren Aktivismus aber noch immer hauptberuflich. Dann gibt es noch die sehr junge Studentin Lilly, die sich als intersektionale Feministin nicht nur für Frauen, sondern auch für Transfrauen einsetzt und Prostitution als selbstbestimmt erachtet. Sie kommt aus reichem, bürgerlichem Elternhaus, lebt vegan, und kann eindeutig zur woken Bewegung der Generation Z gezählt werden, ist aber nicht völlig radikal, sondern diskussionsbereit mit den Positionen der Altfeministinnen. Der ganze Roman wird aus der Sicht dieser zwei Protagonistinnen erzählt, die eben an möglichst unterschiedlichen Polen der Feminismusschulen angesiedelt sind, wodurch die restlichen Charaktere der Wohngemeinschaft etwas in den Hintergrund gedrängt, aber dennoch ganz passabel beschrieben werden. Eleonora ist seit Jahren eine starke Unterstützerin von Simone und augenscheinlich auch sehr verliebt in die Aktivistin. Maren ist eher im Tierschutz, Klimaschutz und in der Flüchtlingshilfe zu Hause und laviert sich wie Eleonora mit prekären Non-Profit-Engagements und Harz4 durch. Die Juristin Flora steht mit beiden Beinen im Leben, verdient gut, ist also auch finanziell besser abgesichert als ihre Kolleginnen und bringt mit ihrem Migrationshintergrund aus Guatemala weitere Diversität in die Frauengruppe. Simone wünschte, ihre WG wäre herzeigbarer, größer, peppiger, jünger. Nachwuchs. […] Sie will ihre Agenda an die nächste Generation weitergeben und sich zur Ruhe setzen. Sie will nicht mehr mitansehen, wie sich die Frauen digital wegen ein paar Sternchen die Schädel einschlagen, während die Demonstrantinnen immer grauer und weißer werden und ihre Rollatoren in Stellung bringen, um auf der Straße für den Erhalt von feministischen Vermächtnissen zu kämpfen. Vermächtnisse, die noch nicht stabil genug sind, um es sich darauf so verdammt bequem zu machen, wie es die nachkommenden Generationen leider tun. […] Wie viel echter Revolutionsgeist ist im Netz zu holen? Der Netzfeminismus, den sie mitkriegt, schwebt gerade über den Regenbogen ins Einhornland, während darunter so gut wie jedes Terrain, das in den Siebzigern erstritten wurde, von den Patriarchen zurückerobert zu werden droht. Ich weiß, dass Gertraud Klemm eine von der subtileren Sorte ist, weniger direkt wie ich, aber bis zur Mitte des Romans ist mir das Konfliktpotenzial des Ausgangssettings ein bisschen zu zahnlos umgesetzt. Die unterschiedlichen Feminismuspositionen werden zu wenig ausgesprochen, nicht ausgestritten, nur in Nebensätzen und mit Schlagwörtern angedacht. Das nimmt sehr viel Tempo aus der Geschichte raus. Ich habe mich selbst dabei ertappt, dass ich mir viel mehr offene Diskussion, Streit und Konfrontation in der WG wünschte. Erst als im Rahmen des Fernsehformats eine freiwillige Sexworkerin in die WG eingeladen wird und ihre Positionen darlegt, gibt Simone ihren amikalen Kuschelkurs auf und redet Tacheles. Aber es gibt ihn nicht, den Freiwillige-Hure-Sticker. So wie mit dem Bio-Gütesiegel. Wie gut es dem Huhn geht, entscheidet letztendlich nicht das Huhn, sondern der Konsument. Also, wo ist das Selbstermächtigungslabel? Wie unterscheidet der Freier zwischen zwangsprostituierter und selbstermächtigter Sexarbeiter*in? […] Lass Dich doch mal auf den Vergleich ein, deinen Schwestern zuliebe. Wenn der Konsument ein glückliches Huhn will, muss er ein teures Bio-Huhn kaufen. Im Restaurant und am Grillhendl-Stand wird’s schon schwieriger. Ist es nicht so am Straßenstrich? Warum ist das kein Freier-Thema? Nach der Konfrontation mit der Sexworkerin werden die Samthandschuhe ausgezogen, die Gräben zwischen den intersektionalen und den Feministinnen der zweiten Welle sowohl in der Wohngemeinschaft als auch Online brechen auf und werden in offener Konfrontation ausgestritten. Dieser lang ersehnte Disput hat mir richtig gut gefallen und das Tempo des Romans nimmt plötzlich rasant an Fahrt auf, genauso wie ich es mir schon viel früher gewünscht habe. In dieser Phase werden sehr klug, manchmal auch ein bisschen emotional aber auch oft sehr ausgewogen viele Seiten des Feminismus und die aktuellen Konflikte offen thematisiert. Anschließend zerbricht die Frauen-WG, Lilly zieht in die Queere Wohngemeinschaft. Doch Gertraud Klemm ist noch lange nicht fertig mit ihrer Geschichte und den Figuren. Im Folgenden werden die zwei Protagonistinnen auch noch korrumpiert. Das ist so genial gelöst, dass ich nur noch begeistert war. Die junge Lilly kriegt ein Kind, lebt in spießbürgerlicher Kleinfamilie, schwört dem Veganismus und den modernen feministischen Rollenbildern ab. Die alte Simone rutscht in ein Burnout, nimmt Testosteron und entsorgt ihren Feminismus und den Kampf um die Frauen ebenso vorübergehend. Am Ende gibt es noch einmal einen Plottwist, eine Versöhnung der Figuren und implizit auch eine Annäherung der feministischen Positionen. Mehr möchte ich aber nicht verraten. Die Handlung ist auf jeden Fall dramaturgisch sensationell ausgearbeitet. Die Sprachfabulierkunst der Autorin war ohnehin immer schon exzellent und wurde auch in diesem Roman in gewohnter Qualität angewandt. Fazit: Wärmste Leseempfehlung! Ein Roman der sehr umfassend informiert, klug diskutiert, gut unterhält und emotional aufwühlt. Feminismus vordergründig als lebendiges, kurzweiliges Kammerspiel, aber mit viel Hintergrundinfos. Für mich gab es eben einen winzigen Wehmutstropfen, weil ich ein bisschen Geduld mit der Handlung haben musste, da sie länger nicht in die Puschen kam.

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