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awogfli

Posted on 13.2.2023

Der für den deutschen Buchpreis 2020 auf der Longlist nominierte Roman ist sehr lyrisch, poetisch, irgendwie fast wie für den Buchpreis geschrieben. Ich musste ihn natürlich unbedingt heuer nachträglich noch lesen. Da ich ja hier im Blog hauptsächlich die Fraktion österreichischer Literatur, das heißt österreichische AutorInnen und österreichische Verlage vertrete, sollte ich zumindest im Ansatz bei erfolgreichen Neuerscheinungen, die punktgenau in den von mir favorisierten Bereich fallen, zumindest ein bisschen mitreden können. Zusammenfassend kann ich gleich vorwegschicken, das ist für mich als literarische Realistin nicht ganz my cup of tea. Mein Problem beginnt schon damit, dass trotz regelmäßiger Lesestatusnotizen, die ich bei jedem Buch schreibe, substantiell nicht viel vom Inhalt hängengeblieben ist. Ich tue mir gegenwärtig beim Verfassen dieser Rezension sehr schwer, mehr als einen Absatz darüber zu schreiben, worum es eigentlich in der Geschichte geht und Meilensteine des Inhaltes zusammenzufassen. Das liegt daran, dass das Werk sprachlich so sehr auf anspruchsvoll gebürstet wurde, dass beim artifiziellen konzipieren der Sätze und beim poetischen rundherum Schreiben im Tsunami der Metaphern, gepaart mit märchenhafter Vorstellungskraft eines Kindes, nämlich der Protagonistin, unbewusst viel zu viel Kontext – zumindest bei mir – verlorenging. Zum Beispiel rätselte ich drei Seiten lang, wer ermordet wurde: der Jäger oder der Hirsch. Ich mag als literarische Realistin in Romanen Leserverwirrung gar nicht so sehr und finde halt, dass überbordende manierierte Sprachspielereien, die den Inhalt völlig untergehen lassen, eher in die Lyrik passen, von der ich auf Grund meiner Präferenzen immer schon die Finger lasse. Einmal in der Woche weichst Du uns Kinder in der Badewanne ein, zu Weihnachten sogar im Latschenkieferschaumbad. Die Schwestern sitzen dann immer direkt unterm Wasserhahn und leiten ein Rinnsal zu mir herunter. „Alter bestimmt“, sagen sie. Und wenn das Wasser bei mir ankommt, ist es schon fast kalt. Ein rudimentäres Bauernaquädukt mit lauwarmem Brackwasser aus Schwesternsud. Wenigstens hat er [der Vater] nun eine Ausrede, um einen Bogen um die Bank zu machen, wo der Direktor und die Schulden auf ihn warten wie überwinternde Gelsen neben dem Wasserboiler. Die Eltern stehen seit langem vor dem Ruin, doch zum Glück ist der Geschäftsführer einer vom alten Schlag. Also tauscht Vater seine wilden Märchen gegen neue Hypotheken. Zudem bin ich als Realistin auch eine Logikfanatikerin, zucke bei jedem Anschlussfehler in einem Film zusammen und echauffiere mich sogar bei Märchen, SCIFI und anderen massiv fiktionalen Werken über Logikfehler, also stören mich die Anachronismen in diesem Roman auch sehr stark: Falcos Jeanny im Radio, David Hasselhoff im Fernsehen aber Rammstein als Musikgruppe. Da stimmt etwas mit der Jahrtausendwende ganz und gar nicht, wenn man weiß, dass die Musikgruppe erst 1994 in Berlin gegründet wurde und sehr spät in Österreich auf dem Land einsickerte. Dies war nur ein Beispiel meiner starken Irritationen diesbezüglich. Worum geht es in der Geschichte? Wenn ich den bedauerlicherweise spärlichen Inhalt, der für mich aber sehr spannend gewesen wäre, aus all den Sprachakrobatikübungen mühsam herausdestilliere, dann ist das eine Coming of Age Geschichte, eine starke Rebellion der Protagonistin in einer dysfunktionalen Familie. Landleben, Dorf, Fantasie, Resilienz, Schaffung von Freiräumen, Widerstand. Der Titel „Die Infantin trägt den Scheitel links“ ist wirklich grandios gewählt. Auf die Schnauze fallen, Krönchen richten, weitermachen, überleben, das ist das Motto der Protagonistin, auch wenn rund um sie alles niederbrennt (Feuerassoziation beabsichtigt) und auseinanderfällt. Fazit: Da bei mir Inhalt immer vor Stil und Sprache geht, am besten aber beides gut bedient wird, was hier definitiv nicht erfüllt wurde, ist dies nicht ganz mein Roman. Ich verstehe aber alle begeisterten Fans durchaus, man muss halt Sprache wirklich lieben, um etwas mit dem Werk anfangen zu können und über die inhaltlichen Defizite hinwegkommen, was ich einfach nicht so gut schaffe.

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