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awogfli

Posted on 28.1.2023

Ein früher Roman der von mir sehr verehrten finnischen Schriftstellerin Sofi Oksanen ist heuer erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Der typische und von mir heißgeliebte Oksanen-Stil blitzt zwar schon in einigen Sequenzen der Geschichte durch, die Autorin hat dieses innovative Merkmal aber erst in späteren Werken zur Perfektion entwickelt. Unter diesem Aspekt ist auch Baby Jane zu betrachten. In der Geschichte geht es um die lesbische Beziehung zwischen der Ich-Erzählerin und Piki, ergo um vulnerable homosexuelle Frauen am Rande der Gesellschaft, wie sie trotz multipler, nicht richtig diagnostizierter und therapierter Persönlichkeitsstörungen mit Selbstmedikation by Trial and Error und prekären Arbeiten im Sexbusiness irgendwie über die Runden kommen und dahinwursteln. Möglicherweise könnte man sogar, wie im Klappentext angekündigt, von einer latenten Dreiecksbeziehung sprechen, wenn Protagonistin Piki nicht so eine Serienmonogamistin wäre, die vergangene Liebesbeziehungen in Freundschaften umwandelt und die Verflossene als Krücke bei der Bewältigung ihrer Angststörung und des Alltages ausnutzt. Piki und die Ich-Erzählerin therapieren also ihre Phobien und Depressionen selbst mit Drogen, Alkohol und verschreibungspflichtigen Medikamenten aus dem Internet. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt abseits des normalen Arbeitsmarktes, in Ermangelung einer offiziellen Diagnose, um staatliche Hilfe zu bekommen, mit einer Telefonsex Hotline und einem Versand für gebrauchte Frauen-Höschen. So können sie ihre angehäuften Schulden zahlen, die Kosten für ihr Leben bestreiten und trotz ihrer psychischen Defizite irgendwie funktionieren. Zu Beginn wird also, trotz aller widrigen Umstände und Probleme irgendwie glattgehendes Lesbenleben am Rande der Gesellschaft dargestellt. Es wäre aber nicht Sofi Oksanen, wenn nicht in zwei Erzählsträngen, die zeitlich auseinanderliegen, angedeutet würde, dass etwas ganz gehörig schief gegangen ist. Denn die Ich-Erzählerin ist nach dem lange vage angedeuteten „Ereignis“ nun in einer heterosexuellen Beziehung. Der Mann versorgt sie zwar finanziell sehr gut, dennoch sehnt sie sich nach dem Leben und der Liebe zu Pixi zurück, sie ist im Inneren eine Lesbe geblieben, lebt aber gerne in der beschützenden Blase eines bürgerlichen Lebens ohne Geldsorgen. Nach und nach wird in Minihäppchen offengelegt, was ungefähr passiert sein könnte, wobei mir in diesem Fall am Ende der Geschichte einfach vieles an Kontext fehlt. Die Figuren sind eben nicht ganz so tief entwickelt, wie ich es von Oksanen gewohnt bin. Warum ist die Ich-Erzählerin gar so ausgetickt und was ist wirklich genau am Tag X mit dem Messer passiert? Diese Details deckt die Autorin diesmal nicht auf und versteckt sich hinter einer vorübergehenden Amnesie. Auch der Umstand, warum Piki nach dem Eklat doch wieder eine Annäherung zulässt, wird psychologisch nicht thematisiert. Hier bleiben die Figuren einfach zu flach, die Motive unausgesprochen und die Handlung zu inkonsistent beleuchtet. Alles wird unter dem Deckmantel der Vernebelung versteckt. So ein Umgang mit Hintergründen durch Unterdrückung von Wahrheiten und Gefühlen bin ich von der Autorin einfach nicht gewohnt. Dadurch werden die Figuren blass und agieren inkonsistent und ambivalent, weil die Leserschaft einfach nicht weiß, warum sie so handeln, wie beschrieben. Stilistisch und sprachlich hat Oksanen ihr persönliches innovatives Konzept von Anfang an gefunden, und dem ist sie bis jetzt treu geblieben. Von der tiefen konsistenten Figurenentwicklung her, musste und hat sie sich aber bis heute ordentlich entwickelt. Fazit: Neulinge im Oksanen-Universum sollten anstatt Baby Jane zuerst eher spätere Werke von der Gegenwart zurück in die Vergangenheit lesen, um einen richtigen Eindruck vom Schreibhandwerk, der Fabulierkunst und der grandiosen Figurenentwicklungsfähigkeit der Autorin zu bekommen: Hundepark und Fegefeuer. Genau in dieser Reihenfolge empfehle ich den Einstieg ins Oeuvre der Schriftstellerin. Für Oksanen-Kenner und Fans ist Baby Jane aber durchaus spannend zu lesen, vor allem insofern, um zu sehen, wie sehr sie sich weiterentwickelt hat.

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