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awogfli

Posted on 24.1.2023

Dieser Roman von einem kleinen Verlag, der mir richtig gut gefallen hat, weist ein sehr interessantes Ausgangssetting auf: Die Protagonistin Emma, im feministischen Kontext ein wundervoll gewählter Name, erschießt nach jahrelangem Missbrauch den Täter, ihren Vater, acht Mal. Notwehrexzess, respektive Totschlag oder Mord? Auf jeden Fall kommt sie in den Knast und fühlt sich unter Frauen erstmals in ihrem Leben sicher, weil ihr kein Mann mehr wehtun kann, denn die Gitter sperren nicht nur ein, sondern auch die Täter aus. Im Gefängnis arbeitet die sehr introvertierte junge Frau in Rückblenden ihr Leben und das ganze Martyrium auf, wobei ihr eine Therapeutin zur Seite steht und Anstöße liefert. Zusätzlich wird auch der sehr strukturierte Gefängnisalltag thematisiert. Nach und nach steckt Emma ihre Fühler aus ihrem selbstgewählten Schneckenhaus heraus, freundet sich mit ihrer Zellengenossin Fran an und schließt auch beim Mittagessen Bekanntschaft mit ein paar anderen Frauen, die bisher noch in keiner Clique sind, weil sie zu wenig cool sind. Das ist fast ein bisschen so wie in den üblichen High-School-Filmen, wo sich in der Mensa am Loosertisch die Übriggebliebenen zwangsläufig zusammenrotten und eine starke Gruppe bilden. „Im Frauenknast gibt es einfach mal gar keine Röcke. Dass ich hier Hosen tragen und breitbeinig sitzen kann, wie ich Lust habe, ist mehr Freiheit als ich jemals davor erlebt habe.“ Mein Gesicht lächelt. [..] „Schau doch mal, egal ob tagsüber oder nachts, hier müssen wir keine Angst haben, wir müssen nicht über unsere Schulter schauen, können lächeln ohne eklige Sprüche oder Geräusche von Männern, müssen uns nicht verkrampfen, um nicht aufzufallen, wir können endlich mal atmen, sein, wie wir sind, ohne die Straßenseiten wechseln zu müssen.“ Knastrüpelin Rena, die den Rest der Clique ein bisschen schikaniert, lässt Emma in Ruhe, denn alle jungen Frauen haben durch ihre Tat Respekt und ein bisschen Angst vor der verschlossenen Frau. Nach und nach kommt auch heraus, dass Emma draußen, also außerhalb des Gefängnisses, durch ihre Tat zum Star auf Social Media avanciert und zur Feminismus Ikone hochstilisiert wird. Schritt für Schritt erfährt die Leserschaft, wie die Clique der Ungewollten allmählich zusammenwächst und sich gegenseitig unterstützt. Sie planen als Präventivschlag der unsympathischen Rena eine Falle zu stellen. Zwischendurch gibt es ein paar kleine Längen und ein bisschen Generve, weil die Mädchen permanent mit ihrer Poserei und ihren Gang-Sprüchen etwas langweilen, aber das ist nur Fassade, halt authentisch und typisch für junge Leute, insbesondere Straftäterinnen, die noch nicht ganz im Erwachsenenleben angekommen sind. Zudem entsteht einiges an Leser-Verwirrung, weil sich alle in der Gruppe unbedingt umbenennen müssen, was aber auch nicht immer konsequent durchgezogen wird. Dann kommt die Geschichte aber so was von in Schwung, indem sich tatsächlich jede einzelne Protagonistin enorm weiterentwickelt. Das war übrigens jener Aspekt der Geschichte, der mich am meisten begeistert hat, diese psychologisch tiefe, authentische und grandiose Figurenentwicklung von allen Beteiligten. Sehr spät wird auch erst wirklich klar offengelegt, dass es sich um ein Jugendgefängnis handelt, denn die Frauen werden relativ schnell wieder enthaftet. Das Ende ist zwar für mich persönlich etwas unbefriedigend, aber wahrscheinlich total realistisch. Nachdem alle im Knast zu richtig dicken Freundinnen geworden sind, will keine, nicht einmal Emma, sobald sich die Gefängnistore hinter ihnen schließen, den Kontakt aufrechterhalten. Dieses Kapitel ist abgeschlossen und ein neues Leben beginnt, da braucht frau nicht ihre Altlasten wie solche Freundschaften mitschleppen. Fazit: Lesenswert! Ein spannendes Setting und eine innovative Geschichte, die ich so noch nie gelesen habe. Die Kurzbeschrebung des Verlages trifft punktgenau das Wesen des Romans und ist auch der eigentliche Grund, warum ich ihn bestellt habe. Ich wurde überhaupt nicht enttäuscht: "Lena Elfraths Roman „Leicht wie Blei “ stellt Fragen rund um Täterschaft und Opferrollen und betrachtet den feministischen Diskurs aus ungeahnter Perspektive." Vorsicht! Ein bisschen Jugendsprech in den Dialogen müsste man durchaus aushalten können.

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