Fabian Neidhardt
Als Gehen, ging, gegangen 2015 rauskam, wusste ich irgendwann, dass es in dem Buch um Geflüchtete geht. Ich wollte nicht noch ein Buch über das Schicksal und Trauma einer Familie lesen und das Cover hat mir auch überhaupt nicht gefallen. Dazu kam, dass es ganz viele ganz überschwängliche Meinungen zu dem Buch gab, was mich manchmal eher abschreckt, etwas zu lesen, zu gucken, zu hören. Aber dann war ich ohne genügend Lesestoff unterwegs und ziehe neben funny girl auch dieses Buch aus dem Bücherschrank und denke, warum nicht. Richard ist emeritierter Professor, verwitwet und hat nichts mehr zu tun, als er auf die Gruppe an Geflüchteten aufmerksam wird, die am Alexanderplatz in einen Hungerstreik gegangen sind. Er versteht nicht ganz, was da passiert und warum sie sich so verhalten. Aber er hat ja Zeit, warum das nicht als Forschungsprojekt angehen? Das Spannende an Gehen, ging, gegangen ist genau dieses Setting. Erpenbeck geht (erstmal) nicht den Weg der größten Emotionalität, sondern lässt Richard sich genau die Fragen stellen, die sich wohl viele gestellt haben. Nur dass Richard sich tatsächlich mit den Geflüchteten auseinandersetzt, stellvertretend für uns. Ich hatte mit dem Anfang des Romanes meine Schwierigkeiten. Einerseits war er ganz anders, als ich dachte. Andererseits wollte ich ja eigentlich keinen Roman über einen sehr deutschen Rentner lesen. Aber mit ihm kommen wir den jungen Männern nahe, die er besucht und mit denen er seine Gespräche führt. Kommen ihren Erfahrungen, ihren Träumen und ihrem Wesen näher. Auf eine Art, wie ich es nie erwartet habe. Weil ich dem alten Rentner irgendwie doch ähnlicher bin als ich dachte. Leider ist Erpenbecks Buch immer noch aktuell. Eine Geschichte über Menschlichkeit, wie sie uns im Alltag verlorengeht und wie wir sie wieder finden können.