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awogfli

Posted on 24.10.2022

Wahrscheinlich bin ich doch die falsche Zielgruppe für Karen Duves Sisi Roman, denn ich weiß schon lange so viel abseits der Klischees von Sisi und der ganzen Habsburgerfamilie, sodass dieses Buch für mich ganz wenige Neuigkeiten bereithielt. Da ich in Bad Ischl fünf Jahre zur Schule ging, fast neben der Kaiservilla gewohnt und auch schon sehr viele Habsburger Sachbücher gelesen habe, war klar, dass sich diesbezüglich kaum Überraschungen für mich ergeben werden. Nun glaube ich jedoch, beurteilen zu können, für wen dieser Roman punktgenau gemacht ist. Wem beim Gedanken an die Kaiserin von Österreich Romy Schneider und das ganze kitschige Bild, das Franz Marischka gezeichnet hat, einfällt, für den gilt für dieses Werk meine wärmste Leseempfehlung. Denn es ist absolut wahr, großartig recherchiert und zertrümmert das Bild der empathischen, entzückenden, liebenswürdigen Kaiserin vollends. Wer sich also darauf einlassen will und die reale Sisi kennenlernen möchte, der wird hocherfreut sein. Ach ja, eine Triggerwarnung muss ich unbedingt noch aussprechen, wer nichts über Jagd und Tierleid, Hundehatz vom Wild bis zum Zerfeischen von Füchsen und Hirschen lesen will, sollte auch die Finger vom Roman lassen, denn solche Szenen gibt es zuhauf. Aber das ist eben auch das wahre Gesicht der Habsburgerfamilie. Niemals hätte Sisi so wie im kitschigen Film genießt, damit der Herr Jäger, den sie beim Wandern in Bad Ischl getroffen hat und der sich später als der Kaiser entpuppte, nicht auf den Hirsch schießen kann. Im Gegenteil, sie war eine leidenschaftliche Anhängerin der grausamen britischen Fuchsjagd, in der diese armen Tiere von Bluthunden zu Tode gehetzt und auch noch zerfleischt werden. Damit passte sie perfekt in die jagdbegeisterte Familie, in der die Lust am Töten schon fast pathologisch ausgeprägt war. „So soll Kaiser Franz Joseph im Laufe seines langen Lebens 55.000 Stück Wild geschossen haben. Damit ist er freilich unter ferner liefen gemessen an seinem Thronfolger Franz Ferdinand, der es, ehe er am 28. Juni 1914 im Alter von 50 Jahren erschossen wurde, auf 274.899 getötete Tiere brachte“ (Quelle: Wiener Zeitung 4.8.2015). Die Belege dieser Mordlust können in der Kaiservilla Bad Ischl bestaunt werden, denn hier hängen sehr viele der Trophäen, versehen mit Datum und genauer Ortsangabe des Schusses, in den Kellern lagern noch mehr Geweihe und in den Büchern sind fast alle Abschüsse akribisch dokumentiert. Auch die im Buch beschriebenen bekloppten Aktionen im Sinne einer Gatterjagd, bei denen aus vielen Zoos herbeigeschaffte, über mehr als hundert Kilometer herangekarrte Tiere, die dann alle nach Freilassung von den schon positionierten Jägern massenweise abgeknallt werden, sind historisch belegt. Jagen, Reiten, Pferde begutachten, Hindernisse überspringen, Reisen – besser gesagt die Flucht aus Wien irgendwohin, stundenlange Haar- und Körperpflege, exzessive Spaziergänge, ein paar kleine harmlose Flirts, ein bisschen Hofintrige und Kampf gegen das Wiener Hofprotokoll prägten das Leben dieser Frau, ansonsten gab es bedauerlicherweise keine weitere Substanz. Wenn sie jetzt nicht Kaiserin von Österreich gewesen wäre, wäre ihr Leben derart stumpf und farblos verlaufen, dass es sich nicht einmal lohnte, eine Geschichte über sie zu schreiben. Keine politischen Gedanken, Pläne und Insights, denn das hat man der jungen Frau schon schnell nach der Heirat abgewöhnt, ihr Köpfchen anzustrengen, zu denken und eine Meinung zu haben. Hier zeichnet Karen Duve ein historisch korrektes Bild von Sisi und sie konzentriert sich auf das Leben der älteren Kaiserin, die bereits ihre drei Kinder bekommen hat und gegen das Altern ankämpft. Dass die alternde Sissi – und wir reden hier von den Dreißigern, um ihr Gewicht und ihre Wespentaille zu halten, kaum feste Nahrung zu sich nahm, nur Kraftsuppe, Wein und ein Gemisch aus Blut und Ei, ist auch historisch verbrieft. Der zusätzliche exzessive Sport und die stundenlangen Spazierläufe, denn Spaziergänge kann man sie bei dem Tempo ja nicht mehr nennen, lassen aus heutiger Sicht auf eine veritable Essstörung schließen. Das pfiffen auch die Spatzen von Wiens Dächern, denn wenige Hofdamen waren so sportlich, dass sie mit dem Gehtempo und dem Workoutpensum der Kaiserin mitkamen. Sie verschliss da viele Untergebene, das war weithin bekannt. Interessant dargelegt ist auch die komplett zerrüttete Beziehung zu zwei ihrer Kinder, die Eheprobleme mit Kaiser Franz Josef sind es weniger, denn kaum eine Habsburgerehe basierte auf echter Partnerschaft und wertschätzender Liebe. Was nicht im Buch steht, was ich aber aus Bad Ischl und Büchern weiß: Sisi war bekannt mit Katharina Schratt, der Langzeit-Geliebten von Kaiser Franz Josef und froh, dass sie sich diesbezüglich nicht mehr um sexuelle und partnerschaftliche Belange kümmern musste. So konnte sie ohne schlechtes Gewissen ihre Reisen fortsetzen und wusste ihren Mann in bester Obhut. Da ich sehr viele Aspekte des Lebens von Sisi vorab bereits kannte, waren für mich persönlich die Nebenfiguren das Spannendste: Die Festetics beispielsweise, die Hofdame der Kaiserin, war die Großtante vom Antal, der mir als Kind als Verhaltensbiologe im Fernsehen immer die Tiere erklärt hat. Ihr Tagebuch ist im Residenz Verlag erschienen, vielleicht gebe ich mir dieses sehr umfangreiche Werk einmal. Der homosexuelle Luziwuzi, der Bruder des Kaiser Franz Joseph, ist auch interessant, seine Neigungen waren sowohl bei Hofe als auch in ganz Wien bekannt, wurden aber totgeschwiegen, bis es zu einem riesigen Skandal kam, da er einen Mann öffentlich belästigte. Anschließend wurde er zur Persona non Grata erklärt und nach Salzburg abgeschoben. Auch Kronprinz Rudolf ist eine spannende Figur im vorliegenden Roman. Ständig im Konflikt mit der Mutter, den Geschwistern und der Cousine. Er hat sich ja zusammen mit der 18-jährigen Maria Vetsera in Mayerling erschossen, dieses Ereignis wird aber im Roman noch nicht thematisiert, denn die Geschichte spielt früher. Ob Maria Vetsera wohl die minderjährige Tochter der umtriebigen Baronin Vetsera im Roman war, würde mich brennend interessieren, da muss ich jetzt ein bisschen nachrecherchieren gehen. Fazit: Ein wichtiges, sehr gutes Buch, das das süße, emphatische Mäderlimage der Kaiserin Elisabeth von Österreich zerstört, das durch die Marischka Filme mit Romy Schneider Generationen und Länder völlig falsch geprägt hat. Ein historisch korrektes Buch, das aber für mich persönlich bezüglich der Kaiserin ein kleines bisschen langweilig war. Nicht weil Duve nicht schreiben kann, sondern weil Duves Protagonistin als Figur einfach öde war. Normal würde man über so eine flache Person gar kein Buch schreiben, wäre sie nicht Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn. Dennoch war ich durch die liebevolle und tiefe Konzeption der Nebenfiguren recht schnell wieder versöhnt.

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