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Von Liebe und Angst Schönheit kann auch ein Fluch sein. Jedenfalls im Fall von Trudy und ihrer Familie, die Anfang der 1970-er Jahre in einer Kleinstadt am St. Lorenz-Strom in Kanada leben. Trudy lebt zusammen mit ihrer Mutter und ihrer vierjährigen Nichte, von der sie fürchtet, dass sie einmal das Schicksal von Mutter, Tante und Großmutter teilen wird: Viel zu früh einen Körper zu haben, der auf Männer wie ein Magnet wirkt. Trudys Mutter hatte mit 17 Jahren ihr erstes Kind und war mit 35 Jahren Großmutter. Trudy selbst hat sich jahrelang völlige Enthaltsamkeit verordnet, nachdem sie beinahe das frühe Mutter-Schicksal der Mutter und Schwester geteilt hätte. Damals half ihr ein Arzt, die ungewollte und viel zu frühe Schwangerschaft zu beenden. Für ihre kleine Nichte ist Trudy in Missy Martsons Roman "Fliegen oder Fallen" dennoch eine Ersatzmutter, denn ihre Schwester hat sich mit unbekanntem Ziel verzogen. Die Mutter wieder trauert weiterhin ihrer großen Liebe nach, einem leider verheirateten Mann. Entgegen dem Ruf als Schlampen-Haushalt haben die Frauen ausgesprochen wenig mit Männern zu tun. Das ändert sich erst, als Jules in die Stadt kommt - Draufgänger, Grankokanadie und mit einem Aussehen, das in Trudys Magen sofort Schmetterlinge tanzen lässt. Er will mit einem getunten Raketenauto den zwei Kilometer breiten Fluss überfliegen. Die Vernunft sagt Trudy: Abstand halten! Aber wer hört verliebt schon auf die Vernunft? In Trudys tristen, prekären Alltag zwischen Fabrikarbeit und Versorgung der Nichte verspricht Jules Charme und Magie, eine Leichigkeit des Seins, die in ihrem Leben fremd ist. Doch wird der Sprung gelingen? Ist Jules eine Art Schmetterling, der von Blüte zu Blüte flattert und schon bald wieder weg ist? Zudem einer, auf den die heimischen Männer schnell eifersüchtig-aggressiv reagieren? Der leicht und witzig geschriebenen Geschichte der Frauen, die an die Liebe glauben wollen, aber von der Realität oft enttäuscht wurden, wird in der Hörbuchfassung von Julia Meier interpretiert. Sie trifft genau den richtigen Ton - mal girrend und selbstironisch, mal im Kindertonfall der kleinen Mercy, mal abgeklärt und ernüchtert. Manchmal hat "Fliegen oder Fallen" fast etwas Märchenhaftes an sich. Die Außenseiter- und Liebesgeschichte ist locker geschrieben, ohne verkitscht zu sein. Trudys Traum von einem anderen Leben ist nachvollziehbar, ihre Zweifel, ob es jemals dazu kommt ebenso. Skurrile Kleinstadttypen werden treffend skizziert und am Ende wartet eine Überraschung. Gut geschrieben und gelesen, vorwiegend heiter mit ein paar ernsten Elementen.