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awogfli

Posted on 18.7.2022

Was wäre, wenn der Putsch des russischen Militärs 1991 nicht gescheitert wäre…? Diese Frage stellt sich meine tschechische Lieblingsautorin Alena Mornštajnová in ihrer Alternativwelt, in der ihr neuester Roman spielt. Was wäre, wenn Boris Jelzin das Militär nicht entmachtet hätte und Glasnost und Perestroika bereits im Keim erstickt worden wären? Welche Auswirkungen hätte dies auf die Staaten des Warschauer Paktes, insbesondere die Tschechoslowakei gehabt? Wie wären dort die Freiheitsbestrebungen von 1989 unterdrückt worden und wie hätten sich die Staaten in Folge entwickelt? Das von der Autorin konzipierte Alternativuniversum tötet jeden Funken Hoffnung der Bevölkerung auf freie Meinungsäußerung und persönliche Entfaltung, Reisefreiheit und politische Mitbestimmung. Die Tschechoslowakei wird durch die erfolgreiche Konterrevolution des Militärs in den tiefsten Kommunismus zurückkatapultiert. Eine deckungsgleiche Analogie der Geschichte zur Revolution im Jahr 1968 findet aber nicht statt, denn die Verantwortlichen der Restauration des Stalinismus haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und knüppeln das Volk nieder: mit Morden, Standgerichten, breit angelegten Verhaftungswellen und jahrzehntelangen Internierungen in Straflagern von allen, die sich während Glasnost und Perestrojka irgendwie nur ein bisschen exponiert haben. Quer durch alle Bevölkerungsschichten wird jegliche freie Meinungsäußerung schon im Vorfeld unterminiert. Denunziation ist nicht nur geduldet oder erwünscht, sie ist unbedingt erforderlich, um nicht selbst verhaftet zu werden. Angst und Schrecken wird überall verbreitet. Alle Kinder nicht streng kommunistischer Eltern werden vom Militär mit Gewalt aus den Familien genommen, zur Zwangsadoption freigegeben und in von der Umwelt abgeschotteten Umerziehungslagern als zukünftige Elite des Staates linientreu gehirngewaschen. Somit soll die Zwangsrestauration des Regimes ohne Widerspruch und jeglicher Gedanken an Veränderung über Generationen installiert werden. Im Gegensatz zu anderen Autoren, wie zum Beispiel Sibylle Berg, vermag Mornštajnová solche politischen Szenarien und in dem Fall alternative osteuropäische Dystopien aber nicht nur konsistent und logisch nachvollziehbar zu konzipieren, sondern die Welten ausnehmend grandios auch mit persönlichen und familiären Schicksalen zu verknüpfen und diese in Form von persönlichen Dramen auch erlebbar und mit Gefühl an die Leserschaft ranzubringen. Wie immer bei der Autorin steht im Zentrum des Geschehens eine recht gewöhnliche mährische Familie, die durch die Politik regelrecht zermalmt wird. Die junge Schwesternschülerin Marie wird für ihr Engagement bei den Demonstrationen 1989 zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr geliebter Mann ist verschollen, wahrscheinlich erschossen. Die Kinder waren während der Verhaftung bei den Großeltern. Maries Exmann nimmt den gemeinsamen Sohn zu seinem gesetzlich festgelegten Besuchswochenende mit und flüchtet mit ihm einfach in den Westen. Dieser Umstand macht Marie und ihre Familie noch verdächtiger, die Soldaten holen anschließend die vierjährige Tochter Magdalena ab und stecken sie in solch eine Umerziehungsanstalt, in der die Kinder auf Staatslinie gebracht werden. Maries Eltern trauen sich aber dies nicht einmal zu gestehen, denn sie wollen den Lebensmut der inhaftierten Marie nicht völlig brechen. In zwei Handlungssträngen wird die Geschichte von Maries Familie und das Schicksal von Magda, Maries Tochter geschildert. Im Heim wird den zwangsadoptieren Kindern eingeredet, dass ihre Eltern sich gar nicht für sie interessieren, sie haben sie angeblich einfach so im Stich gelassen. Das baut natürlich Hassgefühle auf, die die Erzieherinnen geschickt nutzen, um die entwurzelten verzweifelten Mädchen zu manipulieren. Das Setting in der Umerziehungsanstalt, die Instrumente der Manipulation und der Gehirnwäsche seitens der Erzieherinnen erinnern irgendwie ein bisschen an Ishiguros Alles was wir geben mussten. Nach vielen Jahren, weit über die zwanzigjährige Gefängnisstrafe hinaus, noch immer vom Staat bevormundet und bespitzelt, hat sich die gebrochene Marie mit ihrem Schicksal arrangiert. Sie muckt nicht mehr auf, hat die Suche nach der Tochter und ihrem verschollenen Mann endlich aufgegeben und sich in einem völlig neuen Leben eingerichtet. In dieser Situation trifft sie auf die wütende, fast schon hasserfüllte, sich ungeliebt und im Stich gelassen gefühlte Tochter Magdalena. Das geht leider gar nicht gut aus. Das Ende dieser Tragödie ist so niederschmetternd und lässt wirklich keinen Funken Hoffnung übrig. Die Tonalität der Geschichte ist auch das Einzige, was mir persönlich nicht ganz so gut gefallen hat. So viel Verzweiflung, so viel Unglück und ohne wirklich persönliches Verschulden verpasste Chancen haben mich regelrecht fertig gemacht und zu Tränen gerührt. Das von Mornštajnová für ihre ProtagonistInnen ausgedachte Schicksal lässt sogar den guten alten Hiob fast wie einen relativen Glückspilz erscheinen. Sprachlich ist der Roman großartig. Gratulation auch an die Übersetzerin, die übrigens vom Verlag immer ganz prominent gleich unter der Autorin ebenso erwähnt wird. Fazit: Grandioser Roman, in der für die Autorin üblichen Qualität. Kommunismus vernichtet Menschen und Familien restlos. Achtung Triggerwarnung, diese Geschichte verdient die Bezeichnung Tragödie wirklich. Hier wird ein furchtbares Schicksal realistisch geschildert, ohne zu übertrieben oder kitschig zu sein. Taschentücher bereithalten – gilt in dem Fall sogar für die Hartgesottenen.

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