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Dagmar

Posted on 1.7.2022

Es gibt diese Abende mit Freunden, an denen der für den Anlass vorgesehene Wein zum Essen bereits ausgetrunken wurde. Dann geht die Gastgeberin in den Keller und kommt mit einem Korb voller Einzelflaschen wieder. Während sie nachschenkt mäandern die Gespräche am Tisch von gnadenlos blödsinnig und zynisch über persönlich und berührend bis hochpolitisch und lebensklug. Genau so ein Roman ist »Kork« von Sophia Fritz und Martin Bechler – und damit ein Buch für mich. Wer einleuchtende Handlungsstränge bevorzugt, sollte jedoch die Finger davon lassen. Weder bei den Weinen, die getrunken werden, noch bei den Witzen, die gemacht werden, und schon gar nicht bei den Ereignissen im Leben der Protagonisten, gibt es eine klare Linie. Warum sollte es auch? Hätte man die Handlung gestrafft, wäre es nicht dieses Buch. Denn dann gäbe es keinen Raum für die Erörterung der Frage, welchen Wein man bei einer Alien-Invasion serviert. Dann würde deutlich weniger Wein, geschliffene Sarkasmen und Sprüche auf die Seiten passen. Das wäre schade. Doch das Buch hat mehr zu bieten als fiesen Witz, derbe Sprüche und feine Ironie. Unter anderem eine Familiengeschichte, in der ich, die keine Familienromane mag, mich sofort zuhause gefühlt habe. Glühwein trinken mit der Tante, die bald die Stiefmutter sein wird, auf dem Weihnachtsmarkt. Im Altersheim Eierlikör kredenzende Großmütter. Legendäre Grillfeste mit dem Nazi-Onkel, schlechten Playlists und der jungen Generation, die versucht, sich Gehör zu verschaffen. Dazwischen immer wieder die Frage: Wo bin ich und wo will ich hin? Studium abschließen, Therapie fortsetzen, weiter in der Kneipe jobben, nach Berlin umziehen, Reihenhaus bauen, schwanger werden? Oder doch einfach so weiterleben, wie gute Kneipengespräche verlaufen – planlos, aber voller Herzenswärme? Immer präsent in »Kork« ist die ganz große Sinnfrage: Welcher Wein passt zu all diesen seltsamen Momenten, die im Rückblick unser Leben ergeben? Denn wenn sich schon das Leben falsch anfühlt, dann muss wenigstens der Wein passen! (Dieser Buchtipp erschien zuerst auf meinem Blog GeschichtenAgentin.de)

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