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awogfli

Posted on 5.6.2022

Die Vorbilder für diesen Krimi sind klar, sie werden sogar erwähnt, die Figuren aus der skandinavischen Krimischule, Wallander und van Veeteren und deren Team sind Schnittmuster für die Charaktere. Dror Mishanis Protagonisten operieren aber nicht in der Kälte des Nordens, sondern in der Wärme am Meer. So ein Setting ist zwar relativ spannend, konnte mich aber trotzdem nicht restlos begeistern. Als Quereinsteigerin in eine Reihe, die ich bisher noch nicht gelesen habe, ging mir einiges an Hintergrundinformation zur Figur des Ermittlers Avi Avraham ab und ich versuche, dass dieser Umstand meine Bewertung nicht negativ beeinflusst. Fakt ist, man sollte schon einen der vorhergehenden Bände gelesen haben, denn sonst sind einige Traumata aus der Vergangenheit als Basis für Handlungen und Gedanken nicht wirklich konsistent nachvollziehbar. Auf jeden Fall sind gemäß der skandinavischen Schule sehr viele Figuren aus den Polizeieinheiten und auch im Umfeld der Ermittlungen liebevoll beschrieben, sodass zwischenzeitlich sogar ein bisschen Gewimmel entsteht. Zwei augenscheinlich voneinander unabhängige verzwickte Fälle in unterschiedlichen Handlungssträngen sollten letztendlich zu einer einheitlichen Story verwoben werden. Avis Partnerin Esti ist mit dem Fall zu einem ausgesetzten Baby konfrontiert. Die Großmutter des Kindes, Liora, behindert die Untersuchung massiv, indem sie falsche Aussagen tätigt, falsche Spuren legt und die Mutter des Kindes dem Zugriff der Polizei entzieht, indem sie sie nach Paris schickt. Am Anfang war dieses Psychospiel der Großmutter noch recht spannend, die Handlung und die Finten in diesem Fall zogen sich aber so derart, dass ich letztendlich nur noch genervt war. Avi selbst ermittelt inoffiziell und teilweise heimlich im Fall eines toten „Touristen“, der aus Frankreich angereist ist. Eigentlich sollte er die Finger von diesem Verbrechen lassen, denn der Mossad ist möglicherweise involviert und blockiert vielleicht auch die Ermittlungen, indem viel zu schnell von eigentlich nicht zuständigen Polizei-Einheiten ein völlig unrealistisches Ergebnis präsentiert wird. So plätschert die Handlung in den beiden Kriminalfällen bedauerlicherweise sehr träge, jeglicher Spannung beraubt, dahin, mit vielen ethischen, moralischen und philosophisch angehauchten Gedanken, Dialogen und Motiven. Auch die Zusammenführung der völlig unterschiedlichen Fälle, kam mir wie an den Haaren herbeigezogen vor. Irgendwie hatte ich das Gefühl, bei all der Intensität der Figurenentwicklung und dem Bemühen des Autors, auch noch aktuelle, politische und moralische Probleme einzubauen, hat er den Krimi-Plot und den Aufbau eines Spannungsbogens viel zu sehr vernachlässigt. Fazit: In der Gesamtabrechnung ist dieser Roman für mich nur gutes Mittelfeld: Die Figuren top, sehr philosophischer Hintergrund, aber die Krimihandlung ist untot. Bei all dem ausufernden Hintergrund wurde meiner Meinung nach etwas Essentielles vergessen, das als Hygienefaktor für einen Krimi bezeichnet werden kann: Nämlich eine spannende Geschichte über Verbrechen und deren Auflösung zu erzählen.

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