evaczyk
Geschichten wie Faustschläge Seit seinem brachialen, aber großartigen Roman "Die Plotter" habe ich den koreanischen Schriftsteller Un-Sun Kim auf meinem Leseradar. Nun ist vor kurzem seine Kurzgeschichtensammlung "Jab" herausgekommen und ich war neugierig: Würde Kim, der in seinen Romanen so komplexe Figuren voller Abgründe erdacht hat, sein Potenzial auch auf jeweils wenigen Seiten entfalten können? Würde er genauso überzeugen? Ein Jab ist beim Boxen eine Gerade, locker geschlagen, ohne den Ellbogen steif zu machen - und wie ein Hagel Faustschläge kommt auch dieses Buch daher. Auf wenigen Seiten komprimiert finden sich die düsteren Nachtgestalten, die Hoffnungslosen und Getriebenen, die gesellschaftlichen Außenseiter und Angehörigen der Unterwelt wieder, die in den vorangegangenen Romanen ebenso episch wie düster ausgebreitet wurden. Die dunkle Poesie, so will ich Kims Stil mal nennen, zeigt sich auch in den Kurzgeschichten. Es sind teils filigrane Studien, die gleichzeitig Raum für Interpretationen lassen. Der Titel der Sammlung passt angesichts des Tempos und der Wucht der Geschichten jedenfalls gut, auch wenn es in der Titelgeschichte um die Erinnerungen eines ehemaligen Boxschülers geht. Verkorkst und ziemlich kaputt sind eine ganze Reihe der Protagonisten der Geschichten, andere haben etwas kafkaesk-absurdes und selbst dort, wo gelacht werden kann, bleibt ein bitterer Nachgeschmack zurück. Großartig ist die Studie eines Alkoholikers in der Abschlussgeschichte, "Die Flussmündung", wo die Schönheit der Landschaft im kompletten Gegensatz zur Aussichtslosigkeit des Protagonisten steht, der zwar ein neues Leben beginnen wollte, aber nur zu schnell sich wieder mit einem Scheitern abfindet. Ohnehin scheint es, als ob die Gescheiterten und Aussichtslosen, das Milieu der Trinker und Kriminellen, die gleichwohl ihr ganz eigenes Verständnis von Moral haben, einmal mehr Kim inspiriert haben. Mit einem Umfang von gerade mal gut 20 Seiten ist Jab schnell gelesen, aber die Geschichten hallen nach und bieten viel Stoff zum Nachdenken. Der Sprachstil ist einmal mehr gewaltig, auch buchstäblich. Doch, Un-Sun Kim beherrscht auch die kurze Form, kein Zweifel. Und er bleibt definitiv auf meiner Watchlist von Autoren, die ich weiter lesen will.