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evaczyk

Posted on 16.5.2022

Fight or flight? Wenn Menschen in Gefahrensituationen sind, streiten zwei Ur-Instinkte um die Entscheidung: Fight or flight`? Kämpfen oder Weglaufen? Der Titel von Paula McGrath´s Roman "Dann rennen wir" deutet bereits an, wofür sich ihre Protagonistinnen entscheiden. Und dennoch ist jeder Flucht der Augenblick inne, wo das Laufen ein Ende hat und neue Richtungen überlegt werden müssen, gegebenenfalls auch doch die zuvor vermiedene Konfronation. Gemeinsam ist den Protagonistinnen auch ihre Einsamkeit und Isolation: Da ist die Frauenärztin, die im Dublin des Jahres 2012 ein Möglichkeit hätte, eine Stelle in einer Londoner Klinik anzutreten und dem restriktiven irischen Abtreibungsgesetz den Rücken zu kehren, das sie dazu zwingt, ungewollt schwangeren Frauen und Mädchen selbst nach einer Vergewaltigung nicht mit dem Abbruch der Schwangerschat helfen zu dürfen. Doch was wird dann aus ihren Mutter, die als Alzheimerpatientin in einem Pflegeheim lebt? Allein ist auch die 16-jährige, die als jugendliche Rebellin im Goth-Look aus dem irischen Heimatstädtchen abhaut, weg von der alkoholkranken Mutter. In London wäre sie fast unter die Räder gekommen, in Dublin lernt sie buhstäblich, sich durchzuboxen: Fasziniert vom Boxtraining in der Sporthalle der Universität, kann sie den kenianischen Medizinstudenten George überreden, sie heimlich zu trianieren, obwohl Boxen im Irland des Jahres 1982 für Mädchen verboten ist. Das Training, das Disziplin fordert, gibt ihrem Leben wieder eine Struktur - bis hin zur Überlegung, ihren Schulabschluss nachzuholen. Ein Teenager ist auch das amerikanische Mädchen Ali, das von seiner Spät-Hippie-Mutter als Freigeist erzogen wurde und auf einem Boot lebte. Nach deren Tod muss sie allerdings zu ihren Großeltern väterlicherseits, zu denen sie nie Kontakt hatte und deren Lebensstil so ga nichts mit dem ihrer Mutter gemeinsam hat. Auch Ali rennt davon, schließt sich einer Biker Gang an und ist nach einem traumatischen Erlebnis erneut auf der Flucht. Die Erzählfäden finden zusammen, als klar wird, dass nicht nur die Entscheidung, zu Bleiben oder Wegzulaufen ein verbindendes Element ist. Einiges davon zeichnet sich schon früh ab, anderes lässt sich zumindest ahnen. Das Ende ist denn auch irgendwie absehbar. Die durchaus spannenden Frauenfiguren hätten mehr Tiefe vertragen können - hier geht der Episodencharakter der drei Erzählstränge klar zu Lasten von Figurenentwicklung oder Dialog. Dennoch vermittelt das Buch einen Eindruck von der Enge und moralischen Strenge, die vor noch gar nicht so langer Zeit die dunkle Kehrseite der grünen Insel bildete und etwa den Umgang mit ledigen jungen Müttern bestimmte.

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