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awogfli

Posted on 10.5.2022

Dieser Roman hat mich vom Inhalt her richtig begeistert, stilistisch war er aber streckenweise gar nicht prickelnd. Die spannende Geschichte beginnt in einer für mich relativ unbekannten Welt, im Krieg in Angola, der ursprünglich als Unabhängigkeitskrieg, dann als Entkolonisierungskonflikt firmierte und erst anschließend in einem Bürgerkrieg eskalierte. Als Kind habe ich immer die Nachrichten in den 70er-Jahren verfolgt und war ordentlich verwirrt, wie viele Kriegsparteien, auch innerafrikanische, da mitmischten, irgendwann habe ich es aufgegeben, mich für Angola zu interessieren, erstens weil mir die Lage viel zu unübersichtlich vorkam und zweitens, weil der Konflikt auch fast völlig aus den Medien verschwunden war. Ich bin aber vor ein paar Jahren schockiert draufgekommen, dass das Morden und Töten in diesem Land bis ins Jahr 2002 angehalten hat. Yara Nakahanda Monteiro schafft es, mit der Story über das Leben ihrer Protagonistin Vitória, eine großartige Klammer von der Vergangenheit zu Bürgerkriegsbeginn 1975 über die Flucht der Großeltern nach Portugal 1980 bis ins Angola der Gegenwart zu setzen, denn Enkelin Vitória kehrt als Erwachsene ins Land zurück, um ihre Mutter, die als Kämpferin gegen die Portugiesen oder gegen wen auch immer im Land geblieben ist, zu suchen. Bei so einem Ausgangssetting bleibt natürlich auch viel Potenzial in der Familienkonstellation für ein veritables Drama. Die Einstiegsszene der Vergangenheit und die Flucht der Familie nach Portugal war sehr spannend, zu Beginn des Romans begeistert die Autorin aber vor allem mit großartigen bildhaften Beschreibungen des heutigen Angola, in das Vitória zurückkehrt, nachdem sie vor ihrer Hochzeit getürmt ist, ohne ihrem Großvater etwas zu erklären, um ihre Identität und ihre Mutter zu finden. Man fühlt förmlich den Staub, Dreck, Gestank, den Regen und den Verfall der Häuser. Irgendwann ab der Hälfte wendet sich dieses grandiose Setting aber bedauerlicherweise stilistisch ins Negative: Die Dialoge mit entfernten Verwandten und Bekannten und auch manche Beschreibungen von Szenen waren sprachlich oft zu platt konstruiert. Plottechnisch wird der Roman gelinde und höflich gesagt sogar sehr verhaltensauffällig. Das meine ich aber nicht im Sinne von originell, sondern eher durch schlechtes Handwerk gekennzeichnet. Auf Seite 189 wird mitten in der Geschichte ohne Grund die Perspektive vom Ich-Erzähler auf personalen Erzähler gewechselt, auf Seite 213 wird von der chronologischen Erzählweise abgegangen und grundlos vorgegriffen. Das war sehr verstörend, da es überhaupt keinen Anlass dafür gab, solch einen Bruch im Lesefluss herbeizuführen. Nicht mal als gewollte Stilmittel passten solche Irritationen irgendwie in den Plot, sie tauchten nur völlig überraschend und unnötig auf. Nichtsdestotrotz sind aber Inhalt, die Identitätsfindung von Vitória, die finale Botschaft gegen das Grauen des Krieges und was diese unglaubliche Gewalt in der Psyche von Menschen nachhaltig anstellt, sehr gut konzipiert. "Sie erzählt, als die Kämpfe losgingen, habe man sich die Gewalt des Krieges nicht vorstellen können. Man lebte für eine Utopie, einen Traum. Das geht so lang, bis man töten muss, um nicht selber getötet zu werden. Beim Töten bleibt es im Krieg auch nicht. Es wird massakriert, gefoltert, verstümmelt und vergewaltigt. „Hier im Hochland hat der Teufel die Erde gepachtet. Wir verdanken ihm so viel Lied. Es war egal wer vor dem Gewehrlauf stand. Es wurde in alle Richtungen geschossen und alles getötet.“" Fazit: Da ich als literarische Realistin immer Inhalt vor Stil bewerte, mir also die Geschichte wichtiger als die Form ist, gebe ich dennoch eine Leseempfehlung für diesen Roman ab. Ich war zwar öfter beim Lesen ordentlich irritiert und manchmal sogar ein bisschen genervt, aber letztendlich mochte ich ihn trotzt seiner offensichtlichen handwerklichen Mängel sehr gern. Alleine so viel Spannendes über Angola und diesen von der Welt mittlerweile vergessenen Krieg zu erfahren, fand ich großartig. 3,5 Sterne exakt in der Endabrechnung aber zum Aufrunden konnte ich mich einfach nicht aufraffen.

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