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awogfli

Posted on 6.5.2022

Hat mir der Roman gefallen? Naja bedingt schon, aber begeistert hat er mich nicht, das liegt aber auch vielleicht daran, dass ich erstens Österreicherin bin und schon sehr viele österreichischen Schriftsteller gelesen habe. Mir ist der leidenschaftliche Umgang mit dem Tod, der morbide Lebens-, beziehungsweise literarische Schreibstil und die prinzipielle Misanthropie überhaupt nicht fremd. Ich finde die Geschichte fast zu wenig kurios, denn ich bin öfter mit solchen Menschen konfrontiert. Die besondere Beziehung zum Sterben hat Mario Schlemmberg nicht erfunden, sie ist nicht einmal ein bisschen innovativ, denn diese hat sich schon seit Jahrhunderten in der DNA zumindest des Wieners in Literatur und Musik eingebrannt. Die Tonalität des Romans erinnert mich irgendwie an Wolfgang Ambros und Georg Danzers Hymne: "Es lebe der Zentralfriedhof und olle seine Toten Der Eintritt is‘ für Lebende heit‘ ausnahmslos verboten […] Wann’s Nocht wird über Simmering, kummt Leben in die Toten Und drüb’n beim Krematorium tan’s Knochenmork ohbrot’n" Aber worum geht es? Der Roman ist autofiktionaler als viele andere, Protagonist wie Autor sind in ihrem Hauptberuf Totengräber, in ihrem Hobby Schriftsteller und leiden an derselben Krankheit wie Thomas Bernhard. Zudem ist die Figur des Totengräbers auch sehr beziehungsgestört, er hat ein veritables Problem mit Frauen. Vor Jahren hat er sich im Zug in A. verliebt und trauert dieser idealisierten Figur noch immer nach. Die nicht ausgelebte Beziehung verhindert jegliche tiefere Partnerschaft mit anderen Frauen, die er übrigens nicht nach dem Namen benennt, sondern nach dem Alphabet von A-Z durchgeht. Alleine solch ein Vorgehen zeigt schon den geringen Stellenwert und manifestiert die mangelnden Bindung, die den Frauen in seinem Leben zukommt. Der Protagonist führt Tagebuch über seine Arbeit, seine verzehrten Mahlzeiten, seine erotischen Affären bezeichnet mit Buchstaben und über seine Krankheit. Jedes Wort trieft vor Menschenfeindlichkeit, Depression, Komplexen, Krankheit, Geringschätzung und obsessiver Liebe im Sinne von Minne und Sehnsucht nach Nähe. Ein Mensch, der gefangen in seiner Unzulänglichkeit, Schwäche und in seinem Unglücklichsein, andere Menschen verletzt. "Mein Protagonist gehört eher zum Typus Krustentier. Es fällt ihm unheimlich schwer, eine Sprache zu finden, um seine Gefühle verständlich zu machen, und so zieht er sich immer weiter in sich selbst zurück, bis er eine Welt in sich geschaffen hat, die da draußen nicht mehr braucht und sich wie ein Perpetuum mobile aus Erinnerungen und Vergangenem nährt." Interview mit Mario Schlemmbach/ Roxana Höchsmann Wien 26.01.22 Der Schreibstil des Tagebuchs ist übrigens sehr interessant, der Autor formuliert ganz kurze Kapitel aber nicht defragmentiert, sondern angenehm im Flow zu lesen. Das hat mich überrascht und mir richtig gut gefallen, denn normalerweise habe ich Probleme mit so einem Stil. Den Thomas Bernhard Bezug kann ich natürlich in der allgemeinen Misanthropie der Figur, beziehungsweise auch der Sprache und in der Gemeinsamkeit in der Krankheitsbiografie verorten. Hier wird sehr detailliert und eindrücklich geschildert, was so eine Lungenkrankheit bekämpft durch moderne Cortisontherapie mit einem Menschen anstellt: Der Körper ist aufgeschwemmt und entstellt und der Geist wird mürbe und depressiv gemacht. Auch hier sind sehr viele autobiografische Elemente im Roman verarbeitet. "Und Thomas Bernhard war für mich als Autor relevant, weil ich mich während des Studiums sehr in sein Werk und sein Leben vertieft habe, bis, aus irgendeinem absurden Zufall heraus, ich mit derselben Lungenkrankheit wie er diagnostiziert wurde und wir plötzlich zu Leidensgenossen wurden. Die Auseinandersetzung mit dieser Krankheit hat mir letztendlich auch den Rahmen für meinen Roman geliefert." Interview mit Mario Schlemmbach/ Roxana Höchsmann Wien 26.01.22 Was bleibt von dem Werk für mich persönlich? Die Geschichte hat irgendwie überhaupt kein Ende, weder ein befriedigendes noch ein unbefriedigendes, sondern der Text ist einfach aus. Der Protagonist entwickelt sich auch nicht wirklich richtig weiter. "Es gibt kein Ende mit A. – keine Geschichte, die sie wie durch Zauberhand für alle Zeit an meine Seite bindet, nur dieses Schreiben, das weder Anfang noch Ende kennt." Tja, diese Selbsteinschätzung des Totengräbers trifft den Nagel auf den Kopf – nur dieses Schreiben ohne Anfang, ohne Ende und leider auch a bisserl ohne Sinn. Fazit: Ein Roman, der die typischen Klischees der österreichischen intellektuellen Literatur bedient: morbide, schwer zugänglich, depressiv, menschenfeindlich… . Das heißt aber noch lange nicht, dass er grandios ist. Denn zwischen Elfriede Jelineks und Thomas Bernhards Werk im Vergleich zum Autor liegen meiner Meinung nach Welten, nämlich wie zwischen bösartigen Meisterwerken und normalem bösartigen Sudern (Beklagen), das man sich überall in der Vorstadt und am Land im Wirtshaus anhören kann. Ok, gar so schlecht, wie sich das hier nun in der knackigen Conclusio anhört, ist der Roman auch nicht, aber er kommt meiner Meinung nach einfach nicht über das Mittelmaß hinaus. *patschertes Leben: unbeholfen, ungeschickt

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