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awogfli

Posted on 17.4.2022

Mir hat der Roman in einem Aspekt gar nicht so schlecht gefallen, wenngleich die fantastische und pseudo-gruselige Walpurgisnachtstimmung den größten Mumpitz auf Erden in der Konstruktion des Plots darstellt. Das ist weder fantastisch, wie beworben, noch schaurig, noch konsistent, noch glaubwürdig, noch sonst was, sondern nur sinnlos. Ich habe die Geschichte aber von der politischen Seite her betrachtet, und da konnte ich ihr Einiges abgewinnen. Was mir gefallen hat, ist diese Beschreibung der Ghettoisierung des Adels und des Beamtenbürgertums der Stadt, der mitsamt seiner gesamten Familie in seinen selbstgewählten Gefängnissen sitzt und dem Volk einfach keinen Millimeter gerechte Behandlung geben will. Die reichen Leute vegetieren in ihren düsteren Schlössern und Palais rund um den Hradschin dahin, haben Angst vor der Gewalt der Armen und des Pöbels, die sie jahrhundertelang ausgepresst haben, sie langweilen sich unter Ihresgleichen und den Dienstboten zu Tode und rühmen sich, den ersten Bezirk von Prag zwischen 30 Jahren und nie verlassen zu haben, sie sind sogar noch nie über die Moldaubrücke, geschweige denn in den zweiten Bezirk zu den Juden gegangen. Die Stadt verlassen sie auch zur Sommerfrische nur in Richtung Norden, denn sie haben zu viel Angst, sich auch nur auf der Durchreise in den Droschken, oder der Elektrischen (Straßenbahn) in die anderen Bezirke Prags zu begeben. Klingt ähnlich wie die Situation in den bis an die Zähne bewaffneten und mit Kameras ausgestatteten Reichenghettos in Rio de Janeiro und Mexico City. Ausgenommen des einen Tags bei einem sogenannten Gleichheits- Dinner in der Walpurgisnacht kommunizieren sie bis auf Befehle kaum mit ihren Angestellten. Dort wird aber glasklar, was die „Normalen“ Menschen, also der Pöbel brauchen und was den Privilegierten sowohl den äußeren als auch inneren Frieden zurückbringen würde und das ist wirklich nicht zu viel verlangt. So sitzen sie in ihren eigenen errichteten Gefängnissen und fürchten sich zurecht, denn sie wissen, dass wenn man den anderen nicht genug zum Leben lässt, die Tschechen explodieren. Haben sie ja früher auch schon gemacht. Dieser Eindruck entstand bei mir schon in der ersten Szene und ist jetzt dem Gleichheitsdinner ist er noch tiefer geworden. Zu Beginn des Buchs hat mir auch mein fehlendes tschechisches Geschichtswissen Unbehagen bereitet, denn ich konnte mit den Anspielungen einfach zu wenig anfangen. Dank Google und dem schmökern im Schicksal der Hussiten, Jan Ziska und dem 1. Prager Fenstersturz im 15. Jahrhundert, verstand ich nun mehr, es braut sich auch in der Gegenwart wieder etwas zusammen und die ganzen mystischen Hinweise, beziehen sich auf die Fehler der Vergangenheit und die Ereignisse einer anderen historischen Revolution. Prinzipiell ein spannender Stoff, recht revolutionär und mit sehr viel Geschichte, gar nicht so schlecht gedacht, wäre da nicht die Plotkonstruktion von Meyrink, dass die Geister der Vergangenheit nicht nur im übertragenen Sinn in die Protagonisten durch die Duplizität der Ereignisse der historischen Geschichte und des Romans fahren, sondern buchstäblich die kriegerischen revolutionären Ahnen in einem total lächerlichen Spukspektakel die Körper der Protagonisten übernehmen. Ein wenig weniger auf das Gas der Gruselliteratur gedrückt, hätte nämlich der Plot in einem überraschenden Twist ähnlich genial wie beim Golem enden können. Was dann folgt, ist ein bis ins letzte Detail geschilderter überbordender Blutrausch des Pöbels, der sehr realistisch in dieser, aber auch in vielen anderen Revolutionen genauso stattgefunden hat und der nahezu alles, was sich der Wut des Volkes entgegenstellt, einfach niederwalzt und vernichtet. Diese Erfahrung lehrt uns ja die Geschichte, die Revolution frisst ihre Kinder und ist in einigen Phasen auch von so unfassbaren hirnverbrannten Gewalttaten begleitet, dass man sich solche Handlungen, sei man bei Verstand gewesen, gar nicht vorstellen kann. Dieser Teil des Romans war wieder sehr gut konzipiert. Nun wird aber alles, was im Blutrausch passierte, inklusive des Geisterblablas, vom Autor dem Leser für bare Münze verkauft und das wirkt lächerlich. Besser hätte mir eben noch ein Kapitel gefallen in dem die Treiber und Wüter der Revolution sich in einer Verhandlung einfach auf die Geister der Vergangenheit ausreden, um keine Verantwortung für ihre Taten im Blutrausch übernehmen zu müssen. Das wäre ein gelungener Twist gewesen und auch sehr realistisch, denn viele Menschen, die im Angesicht von Krieg, Tod und Zerstörung Gräueltaten begehen, versuchen vor sich selbst Rechtfertigungen für ihr Verhalten zu konstruieren. Ein probates Mittel ist immer mit den Worten: „ich war von jemand anderen besessen“ den Kopf in den Sand zu stecken, um nicht in die eigenen Abgründe zu blicken. Das wäre auch ein ähnliches Konzept wie beim Golem, in dem der Protagonist sich auch alle mystischen und geisterhaften Ungereimtheiten nur eingebildet hat. Fazit: Leider ist die Gruselstory, wenn man sie Wort für Wort ernstnehmen muss und sie nicht einer Verdrängung geschuldet ist, extrem schlecht gemacht. Wenn der Plot nach meinem Vorschlag umgestaltet worden wäre, hätte es sogar einen guten Roman ergeben, denn er hat meiner Meinung nach durchaus Potenzial. 2,5 Sterne diesmal abgerundet, denn ich weiß, dass Meyrink das viel besser kann.

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