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evaczyk

Posted on 26.3.2022

Langer Schatten des Kriegs gegen den Terror David Lagercrantz ist ein Autorenname, der für exzellente schwedische Kriminalliteratur steht - schließlich hat er nach dem Tod von Stieg Larssen die "Millenium"-Reihe um die geniale Hackerin Lisbeth Salander vollendet. Mit "Der Mann aus dem Schatten" hat Lagercrantz nun den Auftakt einer neuen, ganz eigenen Reihe aufgelegt, der Spannung und politische brisantes Geschehen miteinander verbindet. Einen ziemlich genialen, wenn auch komplizierten Protagonisten hat auch diese geplante Triologie. Hans Rekke, Philosoph, Reederssohn aus reichem Haus, ehemals musikalische Wunderkind und, so weiß die Stockholmer Polizei, gilt als Verhörspezialist. Daher macht sich eine kleine Ermittlergruppe auf in Rekkes Villa im Nobelviertel, unter ihnen auch Micaela Vargas, die eigentlich Streifenpolizistin ist. Dass sie in die Kripo-Ermittlungen nach dem Tod eines Schiedsrichters eingebunden wird, hat vor allem einen Grund: Sie wuchs als Tochter chilenischer Einwanderer im gleichen Vorstadtviertel auf, aus dem auch der Hauptverdächtige stammt. Der häufig betrunkene, aggressive Mann hatte auf dem Spielfeld einen heftigen Streit mit dem später erschlagen aufgefundenem Schiedsrichter, einem Flüchtling aus Afghanistan. Eine naheliegender Verdächtiger - aber auch der Täter? Bald schon allerdings ist Micaela kein Mitglied der Sonderkommission mit. Ihre Neugier, den Täter zu finden, ist geblieben. Die Versuche, Kontakt zu Rekke aufzunehmen, scheitern, bis sie ihn eines abends zufällig und unter dramatischen Umständen wiedertrifft. Sie muss erkennen: Der mit allen Privilegien aufgewachsene Rekke hat eine ganze Reihe von Problemen, insbesondere eine bipolare Störung und Medikamentensucht. Doch selbst in einer schwer depressiven Phase hat der Mann mit dem blitzschnellen Blick fürs Detail seine Fähigkeiten nicht verloren. Er stellt etwas fest, das den ganzen Fall auf den Kopf stellt. Denn wie die rechtsmedizinischen Aufnahmen der Leiche des Schiedsrichters zeigen, wurde dieser zwar zweifellos gefoltert - nicht aber, wie behauptet, von den Taliban. Vielmehr sieht Rekke Hinweise auf die "verschärften Verhörmethoden" der Amerikaner in den "black sites" der CIA etwa im Irak, aber auch in befreundeten Ländern. Die Handlung von "Der Mann aus dem Schatten" spielt im Jahr 2003 - der "Krieg gegen den Terror" nach den Terroranschlägen vom 11. September ist im vollen Gang. Die Vorgänge etwa im Gefängnis Abu Ghoreib sind der Öffentlichkeit noch nicht bekannt, doch Rekke hat als Professor an einer US-Universität mit Sicherheitsdiensten zusammengearbeitet, um die Glaubwürdigkeit von Geständnissen zu beurteilen, die durch verschäfte Verhörmethoden, sprich Folter, zustande gekommen sind. Heiligt der Zweck die Mittel? Was wusste, was billigte die Regierung des liberalen Schwedens, als das angebliche Taliban Opfer ins Land kam? Welche Rolle spielte der Tote im Afghanistan der Taliban, und warum fiel er durch besondere Aggressivität gegen Musiker auf? Micaela Vargas und Hans Rekke ermitteln parallel zu den offiziellen Ermittlern, ohne deren Wissen und lösen dabei nicht nur diplomatische Irritationen aus. Die Spannung und die Dichte des Plots steigern sich zunehmend. Dabei bringt Lagercrantz auch die moralischen Konflikte bei der Terrorbekämpfung zur Sprache. Der gelernte Journalist hat offenbar gut recherchiert, sowohl zum Vorgehen der Taliban nach dem Abzug der sowjetischen Truppen als auch zum Vorgehen der US-Sicherheitsdienste gegen verhaftete Terrorverdächtige. Die Fragwürdigkeit der Verhöre und von Einrichtungen wie Guantanamo wird ebenso herausgearbeitet wie das Komplizentum westlicher Regierungen, die gar nicht so genau wissen wollten, wie Informationen zustande kamen. "Nach dem 11. September hatte es nur noch Schwarz oder Weiß gegeben, und er war wahrhaftig nicht der Einzige, der sich dem Druck gebeugt hatte. Nur wenige seiner Kollegen in Europa hatten sich widersetzt. Was tun wir nicht alles. um den Terrorismus zu bekämpfen? Alles! hatten sie wie gehorsame Soldaten geantwortet. Doch hinterher war man immer schlauer. Damals war das Gefühl, sich in einer akuten Notlage zu befinden, so übermächtig, dass es vernünftig schien, nicht so pingelig zu sein." Mir Rekke und Vargas hat Lagercrantz zwei sehr gegensätzliche, aber auch sympatische Ermittler geschaffen: Die toughe Micaela, die sich aus eigener Kraft hochgearbeitet hat, als Frau in der nach wie vor männlich geprägten Polizei behaupten muss und ihren Instinkten vertraut, der labile Rekke, der zwar alles zu haben scheint, aber in eine tiefen Krise steckt und für den die Arbeit an dem Fall auch ein Stück Wiedergewinn seines seelischen Gleichgewichts ist. Der nächste Band kann für mich gar nicht schnell genug kommen.

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