evaczyk
Grauzonen in Tel Aviv Auch wenn viele Israelis in dem Ruf stehen, besonders forsch, ja geradezu ruppig aufzutreten - der Polizist Avi Avraham ist eher ein Vertreter der leisen Töne, einer, der genau hinschaut, auch eigene Unsicherheiten zulässt und dessen ruhige Art leicht übersehen lässt, dass er ausgesprochen hartnäckig ist und sich nicht mit einfachen Lösungen zufrieden gibt. In Dror Mishanis Roman "Vertrauen" ist das bei einer scheinbaren Bagatellermittlung der Fall: Ein Tourist ist aus seinem Hotel verschwunden, ohne zu bezahlen. Angebliche Verwandte haben sein Gepäck abgeholt. Doch es gibt Ungereimtheiten, die Avraham stutzig machen - und dann behauptet die Tochter des angeblichen Touristen obendrein, ihr Vater arbeite für den Mossad, also den israelischen Geheimdienst. Liegt es an dem Thema, der schattenhaften Welt der Spione? Ein wenig erinnert mich Avi Avraham an George Smilley und Dror Mishani an die subtilen Hinweise und die literarische Spannung eines John LeCarré - nur eben am Mittelmeer, zwischen Tel Aviv und seinen Vororten wie Bat Yam und Cholon, wo die Bauhausmetropole nicht ganz so hell scheint. Hier ist denn auch ein zweiter Fall anhängig, mit dem sich Avraham und seine Kollegin Esthi Wahabe befassen - ein in einer Klinik ausgesetztes Neugeborenes, das in besorgniserregendem Zustand gefunden wurde und offenbar deutlich zu früh geboren wurde. Eine verdächtige ist dank der Aufnbahmen der Überwachungskameras schnell ermittelt, eine Kindergartenhelferin, die in eher prekären Verhältnissen lebt und die Polizei offenbar an der Nase herumzuführen versucht. In beiden Fällen gestaltet sich die Wahrheitssuche schwierig, Schicht um Schicht müssen die Ermittler freilegen, was Tatsache und was Behauptung ist, müssen toxische Beziehungen und Altlasten der Vergangenheit entwirren. Manches ist ganz anders, als es zunächst scheint und kleine Details können die Perspektive gründlich verändern. Ruhig erzählt und mit viel Aufmerksamkeit für Details, besticht "Vertrauen" als eine Art Kammerspiel, wenn sich Wahabe und die Kindergartenhelferin im Verhörraum in eine Art Duell von Willenskraft und Manipulation begeben. Neue Entwicklungen im Fall des verschwundenen Touristen zwingen wiederum Avraham zu Entscheidungen: Wie weit will er sich vorwagen in eine Schattenwelt, in der er mit seiner Suche nach der Wahrheit wenig zu gewinnen und viel zu verlieren hat? Wem kann er überhaupt vertrauen in einem Klima, das von versteckten Andeutungen und verschleierten Wahrheiten geprägt ist? Daneben sind es die szenischen Skizzen eines Israels abseits der Touristenpfade, die beim Lesen den Geschmack von Hummus und Sabich aufkommen lassen. Mishani hat bereits mehrere Romane um den Polizisten Avi Avraham geschrieben - dies war der erste, den ich gelesen habe. Auch wenn es manche Andeutung gibt, die Leser, die mit der Serie vertraut sind, sicher besser einordnen können, erschwert das nicht das Lesen von "Vertrauen". Auf jeden Fall aber hat mich das Buch neugierig auf seine Vorgänger gemacht. Nicht zuletzt bereitet es mir ein besonderes Lesevergnügen, dank des Buches wieder durch die Straßen von Tel Aviv zu ziehen und vertraute Orte auf den Buchseiten zu erleben. Dieses Buch ist so vielschichtig, kompliziert und spannend wie die israelische Gesellschaft.