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Jahrhundertealter Aberglaube, Hass und Vorurteile, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, und inmitten des archaischen Settings eine tote Gourmetkritikerin: Der Südtirol-Krimi "Bei den Tannen" von Lenz Koppelstätter bringt ziemlich viel zusammen. Die Alpenidylle im Sarntal hat jedenfalls finstere Seiten, als die bekannte Gastro-Journalistin Manfredi nach den ersten Apettithäppchen im "Tan", dem urig im Wald gelegenen Restaurant Hedwig Jöchlers leblos zusammenbricht. Wenig später brennt das Restaurant, und auf der Wiese davor lassen sich brennende Buchstaben mit der Botschaft "Stirb Hexe" ausmachen. Commissario Grauner aus Bozen sieht sich mit einer schweigsamen Köchin und ebenso schweigsamen Dörflern konfrontiert. Soviel erkennt er aber schnell - die drei Jöchler-Schwestern sind aus der Dorfgemeinshaft ausgestoßen, so wie all die Jöchler-Frauen vor ihnen, die stets unverheiratet sind und es angeblich mit dem Teufel treiben. Doch wie passt all das mit dem aktuellen Fall zusammen? Die Köchin jedenfalls ist nicht sonderlich kooperativ und scheint manches Geheimnis zu hüten - doch hat sie auch mit dem Tod Manfredis zu tun? Bei ihren Ermittlungen müssen sich Grauner und seine Assistentin mit der Geschichte der Hexenprozesse im 16. Jahrhundert auseinandersetzen, als die Urahnin der Jöchlerinnen lebendig auf dem Scheiterhaufen starb. Seitdem herrscht Hass zwischen den Steiners, einer der Familien mit traditionell großem Einfluss im Dorf, und den seitdem buchstäblich an die Peripherie gedrängten Jöchlers. Liegt der Schlüssel des Falls in der Vergangenheit und ist die tote Gastrokritikerin letztlich Kollateralschaden? Koppelstätter bringt immer wieder Hinweise ein, die so manches Mal in die Irre führen. Vieles ist eigentlich ganz anders in diesem Alpenkrimi, in dem die Tradition - im guten wie im schlechten - eine große Rolle spielt. Dabei muss Grauner nicht nur den Fall lösen, sondern mit seinem Team das eigene Trauma aufarbeiten, nach dem Tod eines Kollegen, offenbar Teil der Handlung eines Vorgängerbandes. Denn "Bei den Tannen" ist immerhin der siebte Band einer Serie, einiges von der Dynamik zwischen den handelnden Personen muss von ErstleserInnen wie mir also erst mal erraten werden. Das ist aber nicht weiter problematisch, denn Commissario Grauner, dessen Gedankengängen man beim Lesen folgen kann, ist ein eher Gemütlicher. Der Polizist, der nebenher auch noch Bauer ist, braucht neben einem harmonischen Familienleben eigentlich nur zwei Dinge zum Glücklichsein: Knödel und Kühe. Seine Rindviecher, die wahren Philisophen, die mit Mahler und versuchsweise auch mal mit Beyonce beschallt werden, können seinen inneren Frieden immer herstellen. Grauner ist ein Provinzler im besten Sinne des Wortes, aber seine Tochter Sara dürfte es schon schaffen, ihn mit den Plänen für den Familienhof ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Die Sprache, die mitunter auch gemächlich, ja altertümlich daherkommt, passt sowohl zu der ruhigen Art Grauners wie zu dem Thema der Hexenjagd und alter Weisheiten, die an uralte Sagen und Legenden erinnern. Der Autor legt so manchen roten Hering an und am Ende kommt es zu der einen oder anderen überraschenden Erkenntnis. Teils heiter, teils ernsthaft geht es auch um Tourismuskritik, den Hype mit allem Neuen und die Suche nach Entschleunigung. Beim Lesen hat man den Geruch von Tannennadeln und Latschenkeiferöl in der Nase und es läßt sich von Alpenglühen und Gipfelaufstieg träumen.