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evaczyk

Posted on 12.1.2022

Ich war neugierig auf das Buch "Krieg" von von Margaret McMillan. Als "Kulturgeschichte des Krieges" war das Buch der kanadischen Historikerin angekündigt - von der Antike bis zur Gegenwart, wobei sie in ihre Definition duchaus auch Bandenkriege moderner Großstadtgangs und die internen Konflikte innerhalb von Ländern einbezieht. Wie hat sich die Haltung zu Kriegen verändert, wie hat sich Kriegführung verändert, wie haben militärische Konflikte nicht nur die jeweiligen Gesellschaften, sondern auch Kunst und Literatur geprägt? MacMillan holt hier zu einem Rundumschlag aus, mit einer langen und ausführlichen Literaturliste, neben einschlägiger Fachliteratur auch Literatur und Memoiren. Der Abriss der Kriegsgeschichte geht von der Antike bis ins Zwanzigste Jahrhundert, geht auf die englischen Rosenkriege, die napoleonischen Kriege oder den amerikanischen Bürgerkrieg ein, um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt, wie sich militärisches Denken, die Zusammensetzung von Soldaten und Offizieren im Verlauf der Jahrhunderte veränderte und welche Rolle die modernen Kriege zumindest teilweise für die Stärkung von Frauen etwa im Arbeitsleben bedeuteten. Dass mich das Buch dennoch ein wenig befremdet zurück ließ, ist die Darstellung von Krieg, in der durchaus Verständnis, Bewunderung und Faszination mitschwingt. Dass Krieg nicht nur das Schlechteste, sondern auch das Beste in Menschen hervorzubringen vermag. Dass bei allem Leid und der Zerstörung auch Größe vorhanden sei. Shakespeare-Königsdramen aus den Rosenkriegen werden ausführlich zitiert. Und dort, wo sich der Krieg nicht auf der Bühne abspielte, dominiert etwa in der Beschreibung des Ersten Weltkriegs ein Autor wie Ernst Jünger und seine "Stahlgewitter", während Erich Maria Remarque mit seiner desillusionierten und Haltung eher angelegentlich erwähnt wird. Vielleicht ist es eine geografische und Generationsfrage: MacMillan berichtet, ihr Vater sei Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen, sie muss also schön etwas älter sein und einer Generation angehören, für die Krieg als eine durchaus gerechte Sache galt - vor allem für diejenigen, die in den Truppen der Alliierten gegen Nazi-Deutschland kämpften und sich angesichts der deutschen Verbrechen im Sinn ihres Krieges bestätigt fühlen konnten. Zudem bedeutet die kanadische Herkunft, seit Generationen keine direkte Kriegserfahrung in der eigenen Heimat gemacht zu haben. Ich glaube nicht, dass es in (Kontinental-)Europa viele Familien gibt, die nicht unmittelbare Erfahrungem mit dem Zweiten Weltkrieg auf das unmittelbare Leben von Familien hat - nicht nur durch Familienmitglieder in Uniform und an der Front, sondern auch durch Bomben, Luftangriffe, Flucht und Evakuierung, den allnächtlichen Schrecken im Luftschutzbunker oder Lebensmittelknappheit, Erfahrungen mit brutaler Beatzungspolitik, Zwangsarbeit, Deportationen oder Angst vor Spitzeln. Egal, ob auf der historischen Sieger- oder Verliererseite - mit solchen Erfahrungen wird Krieg in den Familienerzählungen als etwas Schreckliches geschildert, nicht als faszinierend. Und nicht zuletzt - ich selbst bin mit Kaltem Krieg und Friedensbewegung aufgewachsen, meine prägenden Lehrer stammten aus der 68-er Generation - ein glorreicher, verklärender Blick auf Kriege im allgemeinen und die des 20. Jahrhunderts im besonderen lag da fern. "Westliche Gesellschaften haben heute eine merkwürdige zwiespältige Einstellung zum Krieg", resümiert McMillan am Ende. Einerseits sei man besessen nach Kriegsfilmen und Kriegsspielen, andererseits seien die Gesellschaften nicht bereit, noch einmal solche Verluste hinzunehmen. Drohnenkriege, Kampfroboter und Cyberkriege könnten da an die Stelle einstiger Truppenaufmärsche treten. Zu kurz kommt mir in dieser Kulturgeschichte des Kriegs auch der Blick auf die Veränderungen bei den zivilen Opfern im Zwanzigsten Jahrhundert. Ob im Zweiten Weltkrieg, ob in Vietnam, im jugoslawischen Bürgerkrieg: Der Anteil der Zivilisten, die unter Kriegshandlungen litten und getötet wurden, ist, Genfer Konventionen hin oder her, immer größer geworden. Und die "chirurgischen Schläge" etwa im und nach dem Golfkrieg mögen verlustarm für die US-Truppen und ihre Allieerten gewesen sein - der Tod völlig unschuldiger und unbeteiligter Menschen als "Kollateralschaden" wurde und wird in Kauf genommen. Hier hätte ich mir eine klare Positionierung der Autorin und mehr Akzente auf die wenig heldenhaften Aspekte von Kriegen gewünscht, die zwar keineswegs verschwiegen werden, aber meiner Meinung nach zu nebensächlich gehalten werden. Nichtsdestotrotz: Schon der umfangreiche Literaturanhang lädt zu vertiefendem Lesen zu dem Thema ein.

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