Profilbild von evaczyk

evaczyk

Posted on 30.12.2021

Ölbarone und Revolutionäre Frühreif, lebenshungrig und immer auf der Suche nach Liebe: Die 1905 geborene Banine wächst als Tochter eines "Ölbarons" in Baku in einer weitverzweigten Familie auf, in der sich alles um Geld, Geschäfte, Glückspiel und Erbstreitigkeiten dreht. In dem autobiographischen Roman "Kaukasische Tage", der nach der Erstveröffentlichung im Jahr 1949 nun mit neuer Übersetzung wieder erschienen ist, gibt sie einen Einblick in eine Zeit voller Umbrüche und in die vorrevolutionäre Gesellschaft. Der Blick zurück fällt wenig milde aus:" Wir alle kennen Familien, die als arm, aber anständig gelten. Meine hingegen war extrem reich, aber alles andere als anständig." Der verwitwete Vater - die Mutter starb bei Banines Geburt - ist eine distante, aber nichtsdestoweniger dominierende Erscheinung. Banine und ihre drei älteren Schwestern wachsen auf in einer Welt die von Hinwendung an westliche Ideen - die Kinder werden von einem deutschbaltischen Kindermädchen aufgezogen und sprechen besser russisch als aserbaischanisch - und islamischer Tradition gleichermaßen geprägt ist. Als Bewahrerin der Tradition spielt vor allem die Großmutter eine Rolle, eine beherrschende Matriarchin, deren herzhafte und fantasievolle Flüche den Soundvorhang von Banines Kindheit bilden. Banine träumt von der großen weite Welt, ihr Sehnsuchtsort ist Paris, vor allem aber sehnt sie sich nach Liebe. Unter dem Einfluss ihrer Schwestern und vor allem ihrer Cousine erwacht schon früh das Interesse am anderen Geschlecht. Anders als die Cousine, die es kaum erwarten kann, verheiratet zu werden und ihre Jungfräulichkeit zu verlieren, nur um dann bei jeder Gelegenheit fremdzugeheb, ist Banine eine Romantikerin. Sie schwelgt in Tagträumen über das Objekt ihrer Leidenschaft, zunächst gemeinsam mit den Schwestern, später ganz allein für den Revolutionär Andrej. Banine schildert Sommerfrische auf dem Landsitz der Familie, die Streitigkeiten der exzentrischen Verwandtschaft, das vergebliche Ringen um die Liebe der mondänen und bewunderten Stiefmutter, die kurze Zeit aserbaidschanischer Unabhängigkeit und die Turbulenzen der russischen Revolution, die auch den Kaukasus erreichen - erst in Form der geflohenen Emigranten, dann der Bolschewiki. Banines Familie wird, wenig überraschend, als Klassenfeind gesehen. Doch auch wenn die Verhaftung des Vaters Sorge bereitet - die Jahre des stalinistischen Terrors sind noch fern und auch die Enteignung des Familienbesitzes kann Banines Faszination für die russischen Revolutionäre nicht trüben. Da hilfst sie auch als neu konvertierte Nachwuchskommunistin mit erwachtem sozialen Gewissen, Inventarlisten des zu enteignenden Besitzes von entfernten Verwandten und Bekannten anzufertigen. Dennoch fügt sie sich in eine arrangierte Heirat mit einem 20 Jahre älteren Mann und entscheidet sich gegen die Liebe zu Andrej. Beeindruckend an dieser Biografie ist, dass die Erzählerin bei aller Dramatik der Ereignisse nicht resigniert, sondern unbekümmert, bildhaft, mitunter ironisch über die Wirren ihrer Jugend berichtet. Das ist anschaulich zu lesen, höchst unterhaltsam und zeichnet zugleich ein Sittengemälde einer untergegangenen Welt. Da verwundert es überhaupt nicht, dass die unter einem Pseudonym schreibende Banine, die am Ende des Buches den Orient-Express nach Paris besteigt, in ihrer Wahlheimat Frankreich der dortigen Boheme angehörte.

zurück nach oben