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Überlebenskampf im "Großen Hunger" Der "große Hunger" Mitte des 19. Jahrhunderts hat sich in der kollektiven Erinnerung der Iren eingebrannt. Der Hungertod von hunderttausenden, die nach der Kartoffelfäule gleich mehrere Winter ohne das Hauptnahrungsmittel der einfachen Leute zu überleben versuchten, mag im reichen Europa von heute unvorstellbar sein. Doch das Drama wurde in Gedichten und Liedern verarbeitet und steht nun auch im Mittelpunkt von Paul Lynch´s "Grace", gleichermaßen historischer Roman und Coming of Age Story mit einer bildhaft-poetischen Sprache. Die Titelheldin Grace ist 14, als ihre Mutter sie vor die Hütte zerrt und ihr an dem Baumstumpf, auf dem sonst die Hühner geschlachtet werden, die langen Haare abschneitet. Grace soll sich in einen Jungen verwandeln und auf der Landstraße ihr Glück, Arbeit und Auskommen finden. So grausam es scheint, auf diese Weise unvermutet in Männerkleidung von Zuhause weggeschickt zu werden - die Mutter will Grace schützen vor ihrem Quasi-Stiefvater, der bereits ein Auge auf das Mädchen geworfen hat. Und sie hofft, dass Grace die zum Überleben nötige Stärke hat, während gleichzeitig mit einer Esserin weniger die Chancen der jüngeren Geschwister steigen. Die oft poetische Sprache Lynchs bedeutet keine Beschönigung der harten Lebensumstände. Grace wird anfänglich von ihrem jüngeren Bruder begleitet, der ihr auch hilft, in die neue männliche Rolle zu finden, doch schon bald ist sie auf sich gestellt, führt nut innere Zwiesprrache mit dem Bruder, die auf Außenstehende wie seltsame Selbstgespräche wirken. Grace trifft Menschen, die ihr helfen, andere, die eine Gefahr darstellen, sie erfährt, wie der Hunger und Überlebenskampf Grenzen von Anstand und Moral außer Kraft setzen. In Situationen, in denen es buchstäblich um Leben oder Tod geht, lösen sich Vorstellungen von Gut und Böse auf, und wo die Lebenden aussehen wie wandelnde Tote ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass auch die Toten in Graces Bewusstsein of realer wirken als die lebenden Menschen, mit denen sie zu tun hat. Auch Grace kommt dem Hungertod sehr, sehr nahe und die Monologe in denen Lynch den Lesern Einblick in die zunehmend wirren und wahnhaften beinahe letzten Gedanken Graces gibt, gehören zu den dramaturgischen Höhepunkten des Buchs. Wer auf nette historische Unterhaltung hofft, wird an Grace sicherlich keinen Gefallen finden, denn es geht ziemlich schonungslos und ungeschönt zu. Angesichts des Ausmaßes der Hungesnot ist es nur konsequent, dass Lynch auf eine rührselige Heimkehr der verlorenen Tochter verzichtet. Grace erkennt, welchen Preis ihr Überleben hatte. Auch wenn Lynch mitunter ein wenig weitschweifig wird, ist "Grace" ein eindrucksvoller Roman, der ein dunkles Kapitel der irischen Geschichte nachvollziehbar macht.