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Ach wie gut, dass John LeCarré bei seinem angesichts des hohen Lebensalters nicht völlig überraschenden, aber gleichwohl bedauerlichem Tod keinen blanken Schreibtisch hinterließ. sondern auch ein Manuskript. Zum 90. Geburtstag des großen alten Gentleman anspruchsvoller Spionageliteratur ist nun "Silverview" erschienen, und auch wenn es nicht ganz mit der Karla-Triologie mithalten kann, hält auch dieses Buch, was der Autorenname verspricht. Wieder einmal zeigt LeCarré, wie die Ränke- und Doppelspiele von Agenten und Verrätern den Alltag seines Protagonisten verändern und immer neue Fragen aufwerfen. Ein wenig scheint "Silverview" aus der Zeit gefallen, die Technologie des 21. Jahrhunderts hat zurückzustehen hinter persönlichen Begegnungen und Übergaben von Nachrichten, toten Briefkästen und abhörsicher arrangierten Treffen, man ist als Spion schließlich immer misstrauisch und rechnet mit unerwünschten Beobachtern. Oder ist spätestens seit dem NSA-Skandal bei den "Geheimen" die Kommunikation per Smartphone und Rechner eher suspekt? Julian, ehemaliger City-Banker und seit neuestem eifriger, wenn auch nicht sonderlich literarisch beschlagener Buchhändler im ländlichen East Anglia, hat eines Abends einen Besucher in seinem Laden, einen etwas exzentrischen älteren Herrn, der zwar nichts kauft, aber ein Internatsfreund von Julians Vater war, so berichtet der Fremde. Der weißhaarige Edward überredet Julian, im Keller der Buchhandlung eine "literarische Republik" einzurichten und einen Rechner für Buchbestellungen zu installieren, zu dem Edward Zugang hat. Was Julian nicht weiß: Der freundliche ältere Mann hat eine Vergangenheit als Spion und ist mit einer einsigen Top-Analystin des Geheimdienstes verheiratet. Während des Bosnien-Kriegs erlebte er Traumatisches. Der stellvertretende Chef des Inlandsgeheimdienstes folgt unterdessen dem Verdacht eines Verrats in den eigenen Reihen. Treibt Edward ein doppeltes Spiel? "Proctor the Doctor" besucht Edwards einstige Führungsoffiziere, mit Erläuterungen, die keiner glaubt unter den zwischen Staatsgeheimnissen ergrauten Ex-Spionen. Und auch Julian wird in das Ränkespiel einbezogen und muss die ihm zugedachte Rolle spielen. Technisch-bombastisch a la James Bond waren die Romane LeCarré noch nie, und auch Silverview bildet hier keine Ausnahme. Es sind die subtilen Andeutungen, die intelligenten Dialoge, die komplexen, oft desillusionierten Protagonisten, die auch den letzten LeCarré prägen. Dabei führt der Autor seine Leser einmal mehr in die britische Oberschicht, wo die Vertrautheit mit der Welt der Geheimdienste teils Familiensache ist von Generation zu Generation. Man hat eine elitäre Ausbildung genossen und scheut den Begriff Establishment, pflegt Understatement und eine ironische Handlung zu sich selbst. Die Helden von einst sind müde geworden. So seufzt der unter den Folgen eines Schlaganfalls leidende Ex-Geheimdienstler, eigentlich habe man doch gar nichts bewirkt - als Leiter eines Jugendclubs hätte er mehr für das Land tun können. Auch wenn "Silverview" nicht der beste leCarré ist, macht das Buch klar, warum ein Autor wie der geistige Vater von George Smiley vermisst wird.