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awogfli

Posted on 3.11.2021

Das war so überhaupt nicht mein Roman und ich fürchte, auch einige von Euch werden gar nicht begeistert sein. Ein paar meiner Kritikpunkte sind sicher meinen persönlichen Vorlieben geschuldet, aber andere sind auch allgemeiner Natur. Da gibt es zum einen die stroboskopartige Anordnung der Szenenwechsel, die so inflationär vorgenommen werden, dass die Figuren der Familie total flach bleiben. Nebenbei werden auch viel zu rasant und zu viele Figuren gleichzeitig im Stakkato eingeführt, die für die Handlung an der Stelle noch gar nicht notwendig sind. Das hat bei mir dermaßen für Verwirrung gesorgt, dass ich in jeder Szene – also fast alle zwei bis vier Seiten – das Personenregister zu Rate ziehen musste. Gott sei‘s gedankt, dass diese Liste überhaupt existierte, denn sonst hätte ich den Roman schon auf den ersten hundert Seiten wütend in eine Ecke geschleudert und dort verstauben lassen. Zudem wäre ein bisschen strategische Plot-Konstruktion und Entwicklung der Figuren auch einmal von Nöten gewesen, ich frage mich sowieso noch eine Woche nach Beendigung des Buchs, warum man diese Geschichte überhaupt erzählen musste. Aber nun noch eine kurze Einführung in die spärliche Handlung, die sich über die geschilderten Ereignisse des Klappentextes ganz wenig hinausentwickelt. Nach dem Tod der Eltern haben sich die drei Geschwister der Kopenhagener Familie Gabel nicht nur emotional, sondern auch räumlich auseinandergelebt. Sidsel muss als alleinerziehende Mutter wegen Ihrer Arbeit als Museumskuratorin nach London und bittet in dieser Notsituation ihren Bruder, auf ihre Tochter aufzupassen. Dabei nähern sich die beiden einander an. Ea Gabel lebt mit ihrem Lebensgefährten und seiner Tochter in San Francisco und bittet eine Wahrsagerin, mit ihrer verstorbenen Mutter Kontakt aufzunehmen. Leider drängt sich der ungeliebte tote Vater in die Seance. Die ganze Familie und deren Beziehungsverflechtungen bleiben recht unbeleuchtet, die Handlungen und Motive vor allem für die Entfremdung und Probleme der Geschwister sind ob der Flachheit der Charaktere recht unverständlich, wenig klärt sich aus der Vergangenheit schlüssig auf, wenig wird sinnvoll verändert. Das ist wirklich wie ein Fleckenteppich mit Farben, die sich auch noch beißen, also gar nicht zusammenpassen. Manche Nebenfiguren abseits der Gabel-Family wie zum Beispiel die Wahrsagerin, ihre Tochter, ihre ehemalige Lebensgefährtin und der Nachbar sind auch so solitär im Roman installiert und schweben ohne Zweck dahin. Warum sollte ich diese nochmal kennenlernen? Keine Ahnung, der Sinn erschließt sich mir nicht. Dabei muss ich nun leider auch noch eine Stärke des Romans hervorheben, die umso mehr schmerzt und ärgert, weil sie für meine Begriffe eine derartige Verschwendung darstellt. Die Autorin kann nämlich vortrefflich formulieren, ist also der Sprachfabulierkunst sehr mächtig, was für mich dann eben wirkt, als wäre das gesamte Buch nur eine eitle manieristische Fingerübung. Eine Sprach-Collage mit montierten Versatzschnipseln ohne Gesamtplan. Da bei mir als literarischer Realistin immer Inhalt und Plot vor der sprachlichen Form beurteilt wird, schlagen solche Eigenschaften besonders negativ zu Buche. Am allerschlimmsten fand ich dann noch das Nachwort der Autorin, in dem sie darlegt, dass sie sich der Geschichten anderer bedient hat, diese umformuliert und ihn ihren Plot eingebaut hat. Genauso schaut der Roman auch aus, ein totales Remix-Debakel: fremde Geschichten werden in den eigenen Plot mit dem Holzhammer hineingehämmert, egal ob sie passen, oder nicht und wenn sie nicht passen, werden sie mit neuen Figuren passend gemacht. Alles, was ich beim ersten Ansehen des ABBA-Musicals Mamma Mia in London befürchtet habe, das dort aber erfreulicherweise nicht eingetreten ist, hat die Autorin hier verbockt. Fazit: Definitiv keine Leseempfehlung von mir.

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