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Dagmar

Posted on 3.10.2021

Die Menschheit geht einmal unter, erfindet sich neu, macht aber dann mit den gleichen Fehlern weiter. Dazwischen sehr lange Beschreibungen von Technik. Das ist mein Versuch, den 1056 Seiten starken Science-Fiction „Amalthea“ von Neil Stephenson zusammenzufassen. Was in der Umschreibung fehlt: meine Faszination, die Begeisterung und der gute Grund, warum ich das Mammutwerk in gerade mal sieben Wochen ausgelesen hatte – obwohl ich in der Zeit noch etliche andere Bücher beendet habe. Wahrscheinlich ist es ein Naturgesetz, dass ein Buch von über 1000 Seiten Längen aufweist. Bei „Amalthea“ vermute ich jedoch, dass jeder etwas anderes als zu ausufernd empfindet. Bei mir waren es seitenlange Beschreibungen der Orbitalmechanik. Andere dürften wohl bei den Überlegungen, wie aus menschlichen Charakterzügen gesellschaftliche Strömungen entstehen, die dann wiederum zu neuen Ethnien führen, schnell weiter geblättert haben. Genauso wird wohl jeder Leser und jede Leserin eine andere Wendung als überraschend empfindet, obwohl Stephenson wirklich alles, was passiert, auch akribisch ankündigt. Denn nichts geschieht ohne Grund: Diese Science-Fiction-Welt ist in einem Maße durchdacht, wie ich es noch nie erlebt habe. Wie die Menschheit sich beinahe selbst abschafft – und doch überlebt Neal Stephenson schreibt detailverliebt. Insbesondere technischen Phänomenen und gesellschaftlichen Entwicklungen widmet er sich mit der Gründlichkeit eines Nerds. Doch jedes dieser Details ist handlungsentscheidend. So leitet zum Beispiel die Frage „Was machen Brillenträger im All, wenn sich auf Grund der fehlenden Schwerkraft die Augäpfel verformen und deswegen die Sehkraft abnimmt?“ über zu Gefahren, die die überlebende Menschheit stark bedrohen. Menschen werden im All nicht sonderlich alt. Schon allein die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu sterben oder bei einem Unfall ums Leben zu kommen, ist deutlich höher, als wir es auf der Erde gewohnt sind. Die Überlebenswahrscheinlichkeit der rund 1500 Menschen auf der Raumstation ist also nicht hoch. Zudem geht schief, was schief gehen kann, und die Menschen machen das, was sie gut können: sich einander das Leben schwer. Zum Schluss bleiben 8 Frauen übrig – und eine große genetische Datenbank. Was folgt, bezeichnet Hartmut Kasper im Deutschlandfunk als „einer der spektakulärsten Zeitsprünge der Literaturgeschichte“. 5000 Jahre später … leben drei Milliarden Menschen im Orbit. Sie sind dabei, die alte Erde, die nach einem Jahrhunderte andauernden Meteoritenschauer komplett zerstört und unbewohnbar ist, wieder zu besiedeln. So viel sei verraten: ein friedlicher Garten Eden ist das nicht. Es gäbe noch viel zu bloggen. Zum Beispiel über die Bedeutung, die Neal Stephenson einem Heldenepos als Gründungsmythos einer Zivilisation einräumt. Oder seine Betrachtungen darüber, wie eine Kommunikation via Social Media bestimmte Eskalationen vorantreibt. Natürlich auch über die Tatsache, dass in diesem Buch letztlich Frauen das Überleben der Menschheit sichern. Doch dann mache ich als Bloggerin genau das, was Neal Stephenson mit seinem Science-Fiction passiert ist. Mein Beitrag entwickelt Überlänge. Und von Längen aber ich bei aller Liebe zum großartigen Werk erst einmal genug. (Diese Rezension erschien zuerst auf meinem Buch-Blog GeschichtenAgentin.de)

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