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Die Tippse der WKP Paula Haydorn ist 23 und stammt aus gutem Haus. Ihr Vater hat sich hochgearbeitet und ist Zigarettenfabrikant, ihre Mutter wurde reich geboren, spekuliert als Hobby erfolgreich mit Aktien. Aber Paula will mehr. Sie machte eine Ausbildung zur Stenotypistin und arbeitete für ein Bootsunternehmen. Als sie nachts im Vergnügungsviertel in eine Razzia gerät, lernt sie die weibliche Kriminalpolizei kennen und ist beeindruckt. Sie bewirbt sich und wird als Sekretärin eingestellt. Bald darf sie ihre Chefin Josefine Erkens zu einem Tatort begleiten. Eine Frau wurde auf einem Friedhof regelrecht ausgeweidet. Während sich die männliche und weibliche Kripo noch darum streitet wer zuständig ist, bringt Paula einen wichtigen Zeugen zum Reden. Dadurch schafft sie es, dem Fall und der Mordkommission unter der Leitung von Martin Broder und Caroline Wagner halboffiziell zugeteilt zu werden. „Sogar die Tippse der WKP versteht mehr von der Polizeiarbeit als die Kommissarinnen.“ (S. 61) Bald tauchen Parallelen zu den Taten von Jack the Ripper auf, der vor 40 Jahren in London ganz ähnliche Taten begangen hat. Mordet er jetzt etwa hier oder gibt es einen Nachahmungstäter? Die ersten Hinweise führen die Ermittler in den Hamburger Kietz, doch dann weisen die Spuren in eine Richtung, die Paula Angst macht … „Die stumme Tänzerin“ ist der Auftakt einer neuen, sehr spannenden Reihe von Helga Glaesener. Sie beleuchtet die Anfänge und Aufgabengebiete der weiblichen Kriminalpolizei in Hamburg und geht dabei auf die neuen Ermittlungsmethoden ein, die durch Ernst Gennat in Berlin entwickelt wurden. Mir gefällt, wie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten und Geschlechtern in die Handlung eingebunden wurden. Die Mitglieder der WKP müssen sich die Anerkennung ihrer männlichen Kollegen hart erarbeiten und schaffen es nur selten, sich in dieser Männerdomäne autark durchzusetzen. „Du hast keine Ahnung vom Leben. … Geh nach Hause und sieh zu, dass Du heiratest.“ (S. 156) Dabei erreichen sie durch ihren Charme oder ihre vorgetäuschte Arglosigkeit bzw. Hilflosigkeit oft mehr als diese. Ich war fasziniert, dass einige von ihnen damals relativ offen lesbisch leben konnten, auch wenn es nicht leicht war. Ein weiteres Problem sind die Nachwehen des 1. WKs. Vor allem Martin Broder, der Chefermittler des Falls, kann die Erinnerungen und Ängste einfach nicht loswerden. Doch wie auch in Helga Glaeseners anderen historischen Krimi-Reihen steht eine starke Frau im Mittelpunkt. Paula will kein angepasstes Leben führen und warten, bis der passende Mann sie heiratet, sondern sich selbst verwirklichen, unabhängig leben und arbeiten. Ihre Eltern haben kein Verständnis dafür, fürchten, dass bislang gut gehütete Geheimnisse ans Licht kommen und Paula zwischen die Fronten gerät. „Das Wichtigste in einer Familie ist, dass man einander nicht in die Quere kommt.“ (S. 187) Paula steht zwischen den Welten, ist forsch und furchtlos, hält sich selten an Regeln und kann dadurch oft mehr herausbekommen als ihre Kollegen. Sie steigt schnell in deren Achtung. „Sie besitzen einen klaren Verstand, Fräulein Haydorn, und ich will, dass Sie ihn dafür einsetzen, den Mistkerl aufzuspüren, bevor er sein nächstes Opfer findet.“ (S. 63) Da sie eigentlich „nur“ eine Stenotypistin ist, aber immer wieder wichtige Details ermittelt, hat sie eine Sonderstellung in der Mordkommission. „Die Stumme Tänzerin“ ist ein brillanter, hervorragend recherchierter historischer Krimi mit einer starken und unangepassten Ermittlerin. Geschickt gestreute Hinweise lenken den Leser immer wieder zu neuen Verdächtigen und halten die Spannung bis zuletzt aufrecht. Ich bin schon sehr gespannt auf Paulas nächsten Fall.