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awogfli

Posted on 4.8.2021

Es wurde ja auch Zeit, dass endlich jemand über die im sogenannten „Ibiza Untersuchungsausschuss“ aufpoppenden Skandale, Netzwerke und Korruptionsaffären ein übersichtlich strukturiertes, gut recherchiertes Buch mit fundierten Quellen schreibt, und das hat unser österreichischer Paradeaufdecker Peter Pilz mit Kurz – ein Regime genauso abgeliefert, wie wir es von ihm erwartet haben. Was aber zudem noch verblüfft, ist der Umstand, dass das ganze Werk so spannend geschrieben ist, wie ein John Grisham Roman. Da muss ich der Kritikerin Rotraud Schöberl, die das genauso im Puls 4 Frühstücksfernsehen gesagt hat, mit jedem Wort Recht geben. An dem Herrn Pilz ist ein Kriminalschriftsteller verloren gegangen, obwohl, in der Pension kann er sich dahingehend sogar noch umorientieren. Dieser Umstand hatte zu Folge, dass ich an einem Urlaubstag frühmorgens anfing und das Buch einfach nicht mehr weglegen konnte, bis es fertig war. Durch ganze 234 Seiten habe ich mich in ein bisschen mehr als einem halben Tag gierig durch diesen Pageturner gefressen. Großartig werden vor allem die Netzwerke, Bespitzelungen und Füllung der Giftschränke mit kompromittierendem Material von der damals noch kleinen Truppe um Sebastian Kurz bereits ab 2014 (man höre und staune 2014!!!) beleuchtet und wie der heutige Kanzler mit einer kleinen Riege von Vertrauten den Umsturz von langer Hand geplant hat. Dabei ging es nicht nur um politische Gegner, sondern auch um Parteikollegen aus der ÖVP, gegen die Munition gesammelt wurde. Habe ich ja schon im Mitterlehner Buch diese Informationen aus der Sicht eines Betroffenen, der von der Intrige letztendlich doch etwas überrascht wurde, gelesen, so kommt nun natürlich durch die intensive Auswertung der Chatprotokolle von vielen Politikern heraus, wie genau, umfassend und mit wieviel Power dieser Putsch organisiert und auch gleich vorzeitig (also bevor man überhaupt in der Regierung war) die Posten und die Ämter der Republik verteilt wurden. Dabei spielen dann nicht nur die Politiker im Vordergrund eine Rolle, sondern auch die Akteure und korrupten Netzwerke im Heeresnachrichtendienst, im BVT, in der Justiz und in den Aufsichtsräten der großen staatsnahen Betriebe und in den Medienunternehmen. Selbstverständlich werden auch die Verfehlungen von Strache und Kickl genau beschrieben, aber nachträglich betrachtet hat Strache Recht gehabt, erstens waren diese der ÖVP zumindest dem Umfeld von Kurz schon länger bekannt und zweitens sind sie wirklich läppisch und nur die Spitze des Eisberges im Gegensatz dazu, was sich die türkise Truppe in allen Bereichen des Staates und der Aushebelung der demokratischen Institutionen geleistet hat. Da wird einem wirklich angst und bange, wie nicht nur die Exekutive mit ihren ermittelnden Behörden, sondern auch die Gesetzgebung mit den Richtern systematisch umgefärbt werden. Die von den Türkisen als sozialistisch eingefärbt bezeichnete Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wurde übrigens von der EU initiiert, da bei uns in Österreich die Behörden zu sehr von den Weisungen der Minister abhängig sind. Gäbe es die derzeit immer im Kreuzfeuer stehende WKSTA nicht, würden sich jede korrupte Regierung durch Weisungen selbst kontrollieren. Aber auch so werden die Verfahren behindert und verschleppt, indem Hausdurchsuchungen der unabhängigen Behörden durch neue Gesetze eine Woche im Voraus dem Ministerium gemeldet werden müssen, was halt auch immer wieder durchgesickert ist und indem der WKSTA laufende Verfahren weggenommen werden. Klar ist diese von der EU initiierte Behörde im Kreuzfeuer, denn sie ist die Einzige, die unabhängig und ohne Einmischung der Exekutive noch ermitteln kann. Wenn man nach der Lektüre dieses Buches draufkommt, wie sehr Medien, Betriebe und Justiz schon korrumpiert sind, steigen jedem Demokratieverteidiger die Grausbirnen auf. Im Klappentext steht, dass all diese im Sachbuch genau aufgedeckten und gut recherchierten Skandale wie Ibizza Affäre, BVT-Skandal, Postenschacher … Symptome und Arbeitsschritte eines Projektes sind, das seit Jahren im Hintergrund läuft: Der schleichende Umbau der Republik Österreich nach Orbánschem Vorbild. Gut ist auch, dass Peter Pilz mittlerweile sehr parteifrei agiert, denn er spart auch nicht mit harscher Kritik an den Sozialisten, die das Anfüttern der Medien, insbesondere des Boulevards durch Inserate eigentlich erfunden haben. Auch die Grünen bekommen selbstverständlich ihr Fett ab, weil sie sich unter den eigenen Augen die noch immer kämpfende und mit ein bisschen Unabhängigkeit durchsetzte Justiz aushebeln lassen. In dem ganzen Werk gibt es aber nicht nur die üblichen polemischen Ausritte, die man von Peter Pilz im Parlament gewohnt ist, sondern jede einzelne Aussage ist ordentlich mit Quellen aus Protokollen des Untersuchungsausschusses und anderen intensiven Recherchen belegt. Ach ja für den normalen, nicht intensiv politisch an Österreich interessierten Deutschen geht dieses Sachbuch in eine Detaillierungstiefe, die dann auf jeden Fall überfordert. Man sollte schon live und laufend seit 2014 die Zeitungen und andere Medien inklusive der Skandale und Beschwichtigungen mitgekriegt haben, sonst ist der quasi historische Nachrechercheaufwand zu umfangreich. Auch wenn ich hier in meiner Rezension ein bisschen in den Zeiten herumspringe, so hat es Peter Pilz im Gegensatz zu mir geschafft, das ganze Geschehen auch sehr chronologisch aufzubauen, ohne natürlich auf die Hintergründe und Zusammenhänge zu vergessen. Er ist überhaupt so wie ich ein Fan der Struktur und hat sich bemüht, auch ein Personen- und Unternehmensnetzwerk rund um Sebastian Kurz zu zeichnen, führt jeden einzelnen Politiker, jeden Beamten und jede genannte Person in einem ausführlichen Namensglossar mit Funktion nochmals an und gibt in einer übersichtlichen Chronologie ab dem Jahr 2000 auch alle Minister und deren Parteien an, die das Ressort geführt haben, um auch dem Umstand zu begegnen, dass manche Politiker plötzlich so tun, als wären sie früher in den einzelnen Ressorts nicht verantwortlich gewesen. Fazit: LEST DIESES BUCH! Ich empfehle es jedem Österreicher, weil es korrekt recherchiert, gut strukturiert, nicht zu kompliziert geschrieben und zudem auch noch spannend erzählt ist – ein richtiger Pageturner ist hier gelungen, der den Spagat zwischen sachlicher, umfassender und dadurch manchmal langwieriger Informationsvermittlung und Spannung perfekt hinbekommen hat. Wir müssen der Demontage des österreichischen Rechtsstaats und der Demokratie Einhalt gebieten, sonst wachen wir irgendwann in einer Diktatur auf.

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