hasirasi2
Schwere Jungs und leichte Mädchen Ein Fabrikmädchen mit großen Träumen, eine hysterische Gräfin, die sich gern vor aller Augen entblößt, ein Hofmarschall, der hochhinaus will, und der Schwager des Kaisers, der seine Traumfrau nicht heiraten darf, treffen 1895 in Berlin aufeinander und werden in einen Skandal verwickelt, der ihrer aller Leben verändert. 40 Jahre später ist Minna, ehemals Bordellbetreiberin, Edel-Hure und Fabrikarbeiterin mit Emil, ihrem besten Freund und beliebtesten Stricher, unterwegs nach Nizza und verkürzt ihnen die lange Reise mit ihrer Lebensbeichte. „Vierzig Jahre im horizontalen Gewerbe. Ein Leben auf dem Fleischmarkt und gegen die Moral.“ (S. 104) Da ich den ersten Band der Reihe von Anna Basener nicht kenne, bin ich völlig unvoreingenommen an dieses Buch herangegangen und hatte auch nicht das Gefühl, dass mir Vorwissen fehlt. Minna hatte ein sehr bewegtes Leben, auch wenn es nie einfach war. Mit der Machtergreifung der Nazis wurde es immer schwieriger, ein Etablissement wie das ihre zu führen, zumal sie am Ende keine Huren mehr im Angebot hatte, sondern nur noch blutjunge Stricher wie Emil, die sie von der Straße geholt hat. Trotzdem fällt es ihr extrem schwer „ihr Berlin“ zu verlassen. „Ick fühl mir, als hätte man mir den Arm amputiert.“ (S. 12) Minna hat mir imponiert. Sie wählt ihre Kariere als Hure bewusst, um der schlechtbezahlten Fabrikarbeit und einem Leben als Ehefrau und Mutter zu entkommen. Ihr ist aber auch klar, dass sie nicht für jeden die Beine breit machen, sondern in einem teuren Stadtviertel für reichen Freier arbeiten will. Zielstrebig setzt sie diesen Plan um und muss lernen, ihre Herkunft aus der Gosse zu verbergen. Bald aber geht ihr auf, dass genau das ihr Alleinstellungsmerkmal ist und sie von den anderen Frauen unterscheidet. Die Reichen bilden sich zwar ein, schon alles gesehen, gehört und ausprobiert zu haben, aber was Minna ihnen bietet, beeindruckt sie dann doch. Sie ist kein Kind von Traurigkeit und schlägt ihren Freiern keine Wünsche ab, ist vulgär und schockiert gern, das macht ihren Reiz aus. Anna Basener schildert Minnas Aufstieg, den Alltag der Huren um die Jahrhundertwende, die Hygiene- und Verhaltensmaßregeln und das eigentliche Geschäft. Sie bedient sich dabei Minnas frivoler, derber, oft vulgärer Gossensprache und ihres Berliner Dialektes, außerdem geht es richtig „zur Sache“. Ich fand auch den Handlungsstrang um Lottka sehr spannend, die angeblich hysterische Gräfin, die eigentlich nur gelangweilt und unbefriedigt ist und deshalb immer wieder zu Kuren abgeschoben wird. Sie konnte und wollte sich einfach nicht anpassen. Auch den erwähnten Skandal und die daraus resultierenden Ereignisse gab es in ähnlicher Form wirklich. Ein sehr interessantes und spannendes Sittengemälde der damaligen Zeit, wenn man sich auf die etwas ungewöhnliche Ausdrucksweise einlassen kann.