awogfli
Das absolute Chaos: das Wimmelbild und die verwirrenden Zeitsprünge Analog zum sehr umfangreichen Titel des Romans „Der Erzherzog, der den Schwarzmarkt regierte, Matrosen liebte und mein Großvater wurde“, der mich beim ersten Anblick sehr neugierig gemacht hat, habe ich das Werk sogleich im selben Stil umgetauft, um mit meiner Headline gleich mit dem Finger in die Schwächen zu bohren und auf meine Probleme mit der Geschichte hinzuweisen. Ich liebe ja epische Familienromane über mehrere Generationen, lese auch jedes Jahr extrem viel in diesem Genre und habe punktgenau davor zwei großartige Werke von Judith Fanto und von Daphne du Maurier kennenlernen dürfen. Der wesentlichste kritische Erfolgsfaktor von Mehrgenerationenromanen ist es, der Leserschaft Struktur zu geben, damit sie sich quer über die Zeiten und Personen im Plot zurechtfindet. Das kann durch aufgezeichnete Familienstammbäume realisiert und sollte unbedingt durch logisch gut strukturierte, einheitliche, möglichst sparsam eingesetzte Handlungsstränge mit homöopathisch angewandten Zeitsprüngen verwirklicht werden. In dieser Geschichte war das Motto, anstatt Unterstützung anzubieten, bedauerlicherweise möglichst viel Verwirrung zu stiften: Zu viele Erzählstränge in unterschiedlichen Zeiten, die exzessiven Zeitensprünge zu abrupt und zu bunt gemischt, innerhalb der stroboskopartig servierten Handlungsstränge auch noch Rückblenden in andere Zeiten, zusätzlich noch jeden Furz von Nebenpersonen in die Handlung reingenommen, die wenig zum Plot beitragen und kein Familienstammbaum als kleine strukturelle Hilfe wird angeboten, sodass ein unentwirrbares Wimmelbild und ein absolutes Tohuwabohu entsteht. Der Roman hat ein bisschen etwas von Hundert Jahre Einsamkeit, fokussiert aber nicht die Stärken des Romans, die im Fantastischen Realismus begründet sind, sondern widmet sich ausschließlich dem Umstand, die Schwächen ganz massiv zu kopieren. Dieser Umstand ist auch darin begründet, dass der im Titel erwähnte Erzherzog tatsächlich einem historisch fast nicht relevanten Seitenarm der weitverzweigten und kinderreichen Habsburger entstammt, dessen Eltern auch Maria Theresia und Karl Stephan heißen aber nicht die Maria Theresia und der Karl Stephan sind. DAS ist die Analogie zu Gabriel García Márquez preigekröntem Roman. Alle heißen quer über die Generationen oft gleich mit dem Vornamen und das kombiniert mit permanenten Zeitsprüngen ließ mich als Leserin völlig konfus zurück. Ok, macht man sich die Mühe, diesen historisch nicht so wichtigen und noch nie gehörten Habsburger Willhelm den Bestickten zu googeln, bekommt man einen Familienstammbaum, aber so etwas sollte im Buch stehen und nicht erst durch ausführliche Sekundärrecherche zugänglich gemacht werden. https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm... So waren mir die Figuren und das Chaos von Anfang an verhasst und ich konnte auch kaum eine Beziehung zu den Protagonisten aufbauen, weil bis zu zwei Dritteln des Buches alles so wirr war. Als ich endlich ein bisschen durch die Familienzusammenhänge blickte, hatte mich sowohl die Gesamthandlung verloren, als auch waren mir die beschriebenen Figuren total egal. Was halt dann schlussendlich bleibt, sind ein paar witzige Anekdoten, wie zum Beispiel jene, dass eine deutsche Kellnerin Österreicher beim Bestellen eines Wienerschnitzels als Trockenesser bezeichnet, weil sie das Schnitzel nicht mit Tunke bestellen und ein paar mäßig interessante politische Informationen über die Ukraine (Galizien) während der Habsburgerzeit. Fazit: Total chaotischer Roman, von mir gibt es keine Leseempfehlung. Eigentlich sehr schade, denn in dieser Geschichte wäre mehr drin gewesen.