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elena_liest

Posted on 2.6.2021

Silvies Vater ist seit sie denken kann vernarrt in die alten Britannier, in seine vermeintlich reinen Vorfahren und ihre in seinen Augen effiziente Lebensweise. Da kommt es dem Familienoberhaupt sehr gelegen, dass er sich mit Silvie und ihrer Mutter einem praktischen Seminar eines Universitätsprofessors und einigen seiner Student*innen anschließen darf: sie stellen über Wochen im Northumberland das Leben der Menschen aus längst vergangenen Zeiten nach. Was für den Professor und die Studierenden ein bloßes Experiment ist, ist für Silvies Vater von Anfang an bitterer Ernst - und entpuppt sich nach und nach als große Gefahr für Silvie, als der Professor und ihr Vater beginnen, alte Rituale wiederzuentdecken... "Geisterwand" von Sarah Moss ist eine sehr düstere und beklemmende Novelle, in der ein unerträglicher Patriarchat und häusliche Gewalt auf wunderschöne Landschaftsbeschreibungen treffen. Von der ersten Seite an spürt man als Leser*in, dass das Verhältnis zwischen Silvie und ihrem Vater gestört ist und er eine enorme Macht über sie und ihre Mutter hat. Es war sehr bedrückend zu lesen, wie sich Silvie immer vor dem nächsten Schlag zu ducken scheint - und trotzdem ihren Vater immer wieder in Schutz nimmt und sein Verhalten vor den anderen Menschen entschuldigt, beziehungsweise zu verheimlichen versucht. Das hat die Novelle auch sehr realitätsnah gemacht. Trotz der wirklich dunklen Stimmung, die das Buch ausstrahlt, fand ich es eine sehr gute Idee, die Geschichte in den Kontext dieses Experiments zu bringen. Das Drum-Herum hat die Story für mich wirklich interessant gemacht und ich fand auch die Symbiose zwischen der Rolle der Frau zu der nachgespielten Zeit und dem Platz, den Frauen im Kopf und in der Welt von Silvies Vater einnehmen, gelungen. Was mich aber doch recht enttäuscht hat war der Schreibstil. Die Autorin arbeitet ohne Kapitel und kennzeichnet wörtliche Rede nicht extra. So kam es häufig vor, dass im einen Satz eine Person zu Wort kommt und schon im nächsten Satz die Erwiderung einer anderen Person folgt, ohne dass man das zunächst merk, einfach im Fließtext. Diese Art zu schreiben hat mir das Lesen nicht gerade leicht gemacht. Zudem hatte ich ein großes Distanzgefühl zu Silvie, ich konnte leider keine Verbindung zu ihr herstellen. Auch wenn ich die Idee und auch die Geschichte, die in "Geisterwand" stecken, wirklich besonders fand, konnte ich mich nicht wirklich darin fallen lassen und habe das Buch beim Lesen nicht genießen können. Für mich eine Novelle, die man durchaus lesen kann, die aber nicht im Kopf haften bleibt.

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