brittaroeder
Man könnte Olga Tokarczuks „Gesang der Fledermäuse“ einfach wie einen skurrilen humorvollen Krimi lesen. Aber das wäre glatte Verschwendung. Denn das eigentliche Vergnügen besteht weniger darin, der klassischen Täter-Frage nachzugehen, als der eigenbrötlerischen Protagonistin Janina Duszeijko zu folgen, die die Autorin ins Zentrum stellt. Eine seltsame Person ist diese Janina Duszeijko. Eine, die sich der menschlichen Zivilisation soweit es geht entzieht. Die gesundheitlich angeschlagene Rentnerin lebt mitten im Wald auf einem abgelegenen Hochplateau, wo sie die monatelang leer stehenden Sommerhäuschen ihrer Nachbarn hütet. Die ehemalige Ingenieurin schwört auf Astrologie und widmet sich der Lyrik des Naturmystikers William Blake. Ihre Mitmenschen und deren Tun betrachtet sie mit großem Unverständnis. Doch ist sie wirklich so seltsam? Durch die Ich-Erzähl-Perspektive gewährt uns Tokarczuk einen direkten Blick in die Denkweise ihrer Heldin. Für Duszeijko gibt es keine Grenzen zwischen belebter und unbelebter Natur. Alles hängt mit allem zusammen. Alles in der Natur hat eine Seele und verdient Respekt. Tiere besitzen das gleiche Recht auf Leben wie die Menschen. Duszeijko versteht einfach nicht, warum ihre Mitmenschen die sie umgebende Natur missachten, da sie doch selbst ein fester Bestandteil von ihr sind. Tokarczuk hat mit Duszeijko eine erfrischend unbequeme Figur geschaffen, die mit ihrer unkonventionellen Art immer wieder aneckt. Beharrlich verweigert sie sich einem System, das alle um sie herum als normal bezeichnen. Sie entlarvt das vermeintlich „Normale“ in unserer Konsum-Gesellschaft als etwas, das sich schon lange von der natürlichen Normalität entfernt hat. Eine leise Melancholie umweht die Titelfigur, die ihre Einsamkeit wie eine verletzliche Aura mit sich herum trägt. Duszeijko ist eine unermüdlich um Verständnis und Liebe Werbende, die immer wieder an der Hartherzigkeit und dem Unverständnis ihrer Umgebung scheitert. Und doch belohnt Tokarczuk die kindliche Naivität ihrer Heldin damit, dass sie sie tatsächlich einige wenige Seelenverwandte finden lässt. Zum Glück – auch für uns. Denn so platziert die Autorin nicht nur eine große Portion Trost in ihrem düster angelegten Szenario, sie schenkt uns, ihren Leserinnen und Lesern, das hoffnungsvolle Gefühl nicht ganz alleine zu sein.