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awogfli

Posted on 21.4.2021

Wham! Bam! Thank you men and ma’am* Dieses Mal habe ich mir mit der Beurteilung des Debütromans von Katharina Schaller extrem schwer getan. Einerseits ist er ein bisschen feministisch, denn die Protagonistin nimmt ein normalerweise nur männlich konnotiertes Verhalten für sich in Anspruch, das so gar nicht den Rollenklischees von Frauen entspricht, im Gegenteil, sie verhält sich sogar massiv entgegen aller sozialen und gesellschaftlich auch heutzutage noch akzeptierten Verhaltensweisen, dass ich schon sehr irritiert war und die Hauptfigur gar nicht leiden konnte. Zudem entwickelt sie sich auch im Laufe des Romans überhaupt nicht weiter, was ich persönlich dem Roman am meisten ankreiden möchte, was aber wieder konsistent zum Charakter passt. Die Frage ist halt: Muss man von so einem weiblichen Arschloch überhaupt ein Buch lesen, ist das spannend genug? Und meine Antwort lautet in dem Fall: Ja man sollte schon, denn auf so eine weibliche Figur (in der männlichen Ausprägung kenne ich einige) bin ich bisher in der Literatur noch nicht gestoßen. Insofern war es doch für mich recht innovativ, wenn auch verstörend. Die ungenannte Ich-Erzählerin benimmt sich wie ein Mann mit Bindungsstörung, der mit allem Sex hat, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Männer, Frauen, Paare, die miteinander in einer Beziehung leben und sich gegenseitig mit ihr betrügen, Selbstbefriedigung… und das täglich, mehrmals. Das wäre jetzt kein Malheur, wenn sie nur flüchtige sexuelle Kontakte hätte, aber diese Protagonistin ist anders, sie verliebt und entliebt sich im Sekundentakt und meint das in der Sekunde zwar ehrlich, aber eben nur sehr kurzfristig, quasi mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Fruchtfliege. Ohne Reue und ohne die geringsten Schuldgefühle geht sie mit jedem Sexualpartner auch eine tiefere Beziehung ein, die von ihrer Seite ständig locker wieder gelöst wird, sobald eine neue attraktive Person an ihrem Horizont auftaucht. Sie hinterlässt nur verbrannte Erde und kümmert sich einen Dreck darum, wen sie verletzt. In der Ausgangssituation hat sie einen Lebensgefährten, der älter ist als sie und sie gut versorgt, dann gönnt sie sich auch einen noch älteren, verheirateten Liebhaber, der für den Sex zuständig ist und zudem hat sie auch gelegentlich Sex mit jungen gleichaltrigen Männern, denn ein bisschen was fürs Auge braucht sie ja auch. Das verwerfliche an dieser Persönlichkeit sind die ständige Untreue, die vielen Lügen, der permanente Betrug und das emotionale Ausnutzen der Liebe von mehreren Partnern. Treten ganz leichte Anflüge von schlechtem Gewissen auf, wird das gleich weggewischt. Sie ist jemand, der zwar so tut, sich aber innerlich nie wirklich auf was einlässt. "Weil man seiner Affäre nicht alles sagt. Weil es wehtut. Ihm und mir. Trotzdem will ich es hören. Ich bin ihm dann näher. Und ich kapiere, dass andere sich dazu entschieden haben, ein solches Leben zu führen. Babys zu zeugen. Andere haben Häuser gebaut und Kinder großgezogen und das alles geteilt. Vielleicht bin ich geizig, denke ich. Vielleicht geht es darum, nichts herzugeben von mir." Als die Protagonistin auffliegt und ihr Lebensgefährte von ihrem Liebhaber erfährt, macht sie sich auch noch feige aus dem Staub wie ein Dieb. Nicht mal den Streit, die Konfrontation und die Verletzung möchte sie aushalten, nichts gönnt sie ihrem Partner, nicht einmal eine Erklärung oder halt einfach die Wut anzunehmen. Beim Liebhaber lässt sie ihren Koffer stehen und fährt gegen Süden, um ihr bisheriges Leben genauso fortzusetzen, wie sie es immer schon getan hat. Nun kann sie ihr bisheriges Verhaltensmuster exzessiv fortführen, denn ab dem Zeitpunkt stehen zusätzlich noch alle attraktiven Frauen auf ihrer Speisekarte. Sie zieht eine Schneise der Verwüstung und des Liebeskummers quer durch den Süden Europas, respektive wahrscheinlich durch Italien. Da die Göttin Karma ja bekannterweise eine doch sehr gerechte Bitch ist, kommt sie auf ihrer Reise ins Nirgendwo drauf, dass sie schwanger ist und absolut keine Ahnung hat, von wem das Kind sein soll. Da wird aber auch gleich wieder das Köpfchen in den Sand gesteckt. Sofort ergreift sie wieder die Flucht woandershin, lässt ihre neu gewonnenen Freunde in einem Dorf stehen, ein junger Mann wird ausgewählt, sie springt auf sein Motorrad und braust wieder davon. Die Schwangerschaft wird wochenlang verdrängt, die unzähligen eingekauften Schwangerschaftstests bleiben unberührt in der Tüte. Letztendlich macht sie den Test und sollte nun nach Hause, um ihre Angelegenheiten zu regeln und sich mit den potenziellen Vätern zu konfrontieren, wobei sie sich erneut einen Zwischenstopp bei einer Freundin, die sie auf ihrer Reise kennengelernt hat, und noch einige Umwege gönnt. Feige traut sie sich nicht, alleine zurück nach Hause zu gehen. Am Ende muss ich spoilern, denn das Ende war mir anfänglich zu ungerecht. Nach längerem Nachdenken finde ich es aber ganz gut gelungen. Wer sich überraschen lassen möchte, möge bitte diesen Absatz hier überspringen… . Als sie das Kind abtreiben will, man weiß als Leserschaft nicht genau, ob sie sich überhaupt noch innerhalb der Frist befindet, da die Reise ewig gedauert hat und auch nicht, wann der Zeitpunkt der Befruchtung stattgefunden hat, kommt heraus, dass sie doch nicht schwanger ist. Zuerst war ich ungehalten über diese Ungerechtigkeit, dass eine solche Frau mit ihrer Masche davongekommen ist und nicht die Konsequenzen ihrer Handlungen tragen muss. Sie muss sich nicht einmal mit ihren ehemaligen Partnern und ihrem bisherigen Leben konfrontieren, denn sie kann wieder alles verdrängen. Nach einer kurzen Nachdenkpause war ich aber froh, dass sie nicht schwanger war. Nicht auszudenken, was ein armes Kind mit so einer Mutter erlebt hätte, wenn sie es doch bekommen hätte, beziehungsweise bekommen hätte müssen. Die Sprache des Romans passt sich konsistent an diese sehr kuriose weibliche Persönlichkeit an, die Sexszenen sind sehr plastisch aber mechanisch, quasi sehr männlich unromantisch mit nicht gerade feinen Kraftausdrücken geschildert. Teilweise werden Gefühle schonungslos im Telegrammstil in ganz kurzen Sätzen ausgestoßen, um ja keine Ineffizienz aufkommen zu lassen. Die Konstruktion passt perfekt zum dargestellten Charakter. Fazit: Ich bin sehr unschlüssig, die Geschichte ist irgendwie innovativ, aber doch nicht, für mich als Frau war sie sehr irritierend und fast wie ein Faustschlag ins Gesicht. Deshalb gebe ich weder eine Empfehlung ab, noch eine Warnung, denn schlecht war dieser Debütroman beileibe nicht. Auf jeden Fall habe ich die Story nicht schnell vergessen, sie blieb irgendwie in mir verankert und waberte länger durch mein Hirn und meine Gefühle, auch wenn ich mich dabei sehr unwohl fühlte. Eigentlich ist das ja genau die Wirkung, die Literatur entfalten sollte, sie sollte nachhallen. *Der Titel der Überschrift entstammt einer abgewandelten Version eines Liedes von Dean Martin „Wham! Bam! Thank you ma’am and I hope you´re satisfied“

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