elena_liest
An Veras 90. Geburtstag kommen sie alle zusammen: Vera, ihre Tochter Nina und ihre Enkelin Gili. Die Verhältnisse zwischen den drei Frauen sind kompliziert bis zerrüttet, sie alle kamen nie über die Geschehnisse in ihrer Vergangenheit hinweg. Als Nina ihrer Familie eröffnet, dass sie an einer schweren Krankheit leidet und den Frauen klar wird, wie wenig Zeit ihnen noch bleibt, entscheiden sie, gemeinsam mit Gilis Vater nach Kroatien auf die frühere Gefängnisinsel Goli Otok zu reisen, mit einer Kamera im Gepäck, damit Vera endlich ihre ganze Geschichte erzählen kann... In "Was Nina wusste" macht David Grossman die jugoslawische Geheimpolizei, Tito und die Gefängnisinsel Goli Otok, auch das "Alcatraz der Adria" genannt, zum Thema. Dadurch wird dieser Roman zu etwas Besonderem - denn es gibt kaum Bücher oder Filme über die Grausamkeiten, die unter dem Tito-Regime auf Goli Otok verübt wurden. Auch mir war die Insel nicht wirklich ein Begriff, ich hatte mich zuvor nie damit beschäftigt und war beim Lesen daher umso schockierter. Im Buch werden Fiktion und Wirklichkeit vermischt, denn David Grossman hatte eine reale Frau für Vera als Vorbild, die mit ihrer Geschichte und der Bitte um einen Roman an ihn herangetreten ist. Sprachlich lässt sich das Buch anfangs nicht so leicht bewältigen. Der Autor nutzt keine Einteilung in Kapitel, es werden lediglich Abschnitte durch leere Zeilen markiert. Dieses fließende und auch der Schreibstil generell passen aber bei fortschreitender Geschichte immer besser zum Inhalt und vor allem auch Veras Akzent wurde hervorragend in den Roman mit eingebaut (an dieser Stelle auch Hut ab an die Übersetzerin Anne Birkenhauer!). Ich mochte die Sprachmelodie in "Was Nina wusste" sehr gerne. Womit David Grossman im Roman nicht spart, sind dramaturgische Elemente. Vom stürmischen Wetter bis hin zu der aufbrausenden und rastlosen Protagonistin Nina, an vielen Stellen schießt die Erzählung etwas über ihr Ziel hinaus. Ich denke, dass das vom Autor durchaus so gewollt ist, meinen persönlichen Geschmack treffen solche krassen Überzeichnungen aber eher nicht. Auch wenn ich nicht alles an der Fiktion mochte, so trifft mich die reale Geschichte hinter dem Buch doch hart. Viele Seiten ließen mich betroffen zurück und ich musste auch immer wieder Pausen einlegen, um das Gelesene zu verarbeiten. Wieder einmal hat mir ein Buch ein Stück Zeitgeschichte näher gebracht und mich dazu animiert, mich über die Lektüre hinaus genauer mit den wahren Begebenheiten zu beschäftigen. Ich kann "Was Nina wusste" gerade aus sprachlicher Perspektive und wegen des geschichtlichen Hintergrunds sehr empfehlen. Es lohnt sich, sich auf den ungewohnten Schreibstil einzulassen und in die tragische Familiengeschichte um Vera, Nina und Gili einzutauchen.