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elena_liest

Posted on 26.3.2021

In "Brüder" geht es - ganz kurz gesagt - um zwei Halb-Brüder, die nichts voneinander wissen, von dem selben senegalischen Vater mit zwei verschiedenen Müttern sind und kurz vor der Wende in Ostdeutschland aufgewachsen sind. Was sich inhaltlich ganz kurz (und natürlich viel zu verkürzt!) in einem Satz zusammenfassen lässt, kommt als Geschichte mit rund 500 Seiten daher. Jackie Thomae schreibt in ihrem Roman vom Leben, der Liebe, vom Aufwachsen, von Freundschaft, von Identität und ja, auch von Rassismus. Alle Themen bekommen ihren Raum, manche mehr, manche weniger, alle aber auf gekonnt unaufgeregte Art und mit viel Story drum herum. Eigentlich halten die Leser*innen mit "Brüder" gleich zwei Romane in der Hand. Denn die Geschichten um Mick und Gabriel haben bis auf den gemeinsamen Vater (zumindest auf den ersten Blick) nichts miteinander zu tun. Jackie Thomae erzählt fast genau auf den Punkt die Hälfte des Romans von dem Lebemann Mick, der sich durchs Leben treiben lässt und sich vor allem in der Party-Szene der 90er Jahre heimisch fühlt und die andere Hälfte von Gabriel, einem ehrgeizigen Architekten in London, der mit Frau und Kind zwanghaft versucht, fernab jeglicher Klischees zu leben. Erst auf den zweiten Blick finden sich durchaus Parallelen zwischen den beiden Männern - und zwar nicht nur den gemeinsamen Vater. Jackie Thomae wechselt in der Mitte des Buches nicht nur die Charaktere, sondern auch die Erzählstimme. Micks Erzählstrang wird aus der Perspektive der dritten Person geschrieben. Dabei bekommen die Leser*innen nicht nur Micks Handlungen präsentiert, einige Kapitel sind auch aus der Sicht anderer Menschen aus seinem Umfeld geschrieben. Bei Gabriels Erzählstrang wechselt die Autorin in die Ich-Perspektive - abwechselnd darf man in den Kopf von Gabriel und seiner Frau schauen. Diese Perspektivenwechsel sowohl innerhalb der beiden Erzählstränge, als auch zwischen den beiden fand ich sehr gelungen. Für mich kam so nochmals eine ganz andere Facette in den Roman. "Brüder" ist für mich kein Roman, der von Beginn an packt oder sich leicht weiterlesen lässt. Zu oft trat für mich die Geschichte dafür auf der Stelle, zu oft wurden Geschehnisse bis ins kleinste Detail ausgearbeitet, zu kantig waren mir dann doch die beiden Protagonisten. Nichts desto trotz schöpft das Buch sein Potential durchaus aus. Die Autorin richtet den Blick auf die verarbeiteten Themen nochmals neu aus, ohne dabei je einen drohenden Zeigefinger zu heben. Für meinen Geschmack hätte das alles nur einfach in einem kleineren Umfang verpackt werden dürfen.

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